Als Gott ein Kaninchen war
das Leuchten verfinsterte, das er eigentlich war, das er sein konnte. Mein Bruder schob es aufs Rugbyspielen, auf die häufigen Stöße gegen den Kopf, die er dabei abbekommen hatte, die Gehirnerschütterung. Aber ich machte das Geheimnis dafür verantwortlich, das ich ihm auferlegt hatte. Und mein Vater nahm einfach an, dass es manchmal eben recht einsam sein konnte, wenn man schwul war. Vielleicht war es ein bisschen von allem, dachte ich bei mir.
17. März 1996
Liebe Jenny,
ich hoffe, es geht Dir gut. Ich vermag es mir nicht auszumalen, wie Dein Leben ausgesehen haben muss, und das hat es mir schwer gemacht, diesen Brief zu schreiben. Danke für Deine Ehrlichkeit. Ich habe nicht den Wunsch, mich von Dir abzuwenden, im Gegenteil, ich würde gern mehr erfahren – was ist bloß mit meiner Freundin passiert, dass sie dort endete, wo sie jetzt ist? Wenn Du mir also Genaueres erzählen möchtest, bin ich da. Ich habe die letzte Woche in Cornwall verbracht und musste die ganze Zeit an Dich denken. Alle hoffen, dass Du Dich noch an sie erinnerst – besonders Joe. Er lebt in New York. Und alle grüßen Dich ganz herzlich. Ich würde Dich gerne sehen, Jenny. Mein Vater meinte, dazu müsstest Du mir erst einen Besuchsantrag schicken. Stimmt das? Ich würde Dich wirklich gern besuchen kommen, aber ich möchte nicht, dass es Dir unangenehm ist. Ich weiß, das kommt jetzt etwas schnell – vielleicht zu schnell. Das ist jetzt meine Art. Briefe zu schreiben fällt mir schwer, und ich habe leider das Talent dazu verloren. Ich habe Dir so viel zu sagen, als hätte ich die ganze Zeit nur darauf gewartet, Dir allein erzählen zu können, was in meinem Leben los war. Briefmarken habe ich beigefügt und eine Postanweisung. Dad meinte, Du brauchst vielleicht Geld, um eine eigene Bettdecke oder solche Dinge zu bekommen, eben alles, was Dein Zimmer wohnlicher machen könnte. Ich habe zwar selbst noch nie Sachen aus dem Katalog bestellt, aber lass mich wissen, ob es noch irgendetwas gibt, das ich für Dich tun kann.
Ich hoffe, man behandelt Dich gut. Bleib stark.
Pass auf Dich auf.
Deine Elly.
Drei Wochen später vertraute sie mir alles an. Es floss aus ihrem Stift wie ein Geständnis, aber nicht wie ein erzwungenes. Die Geschichte hatte zwei Seiten: Intention und Ausführung, freier Wille und Auswirkung. Sie verschwieg nichts.
Die Monate, die der Tat vorausgingen, waren ohne Punkt und Komma beschrieben, als wären die Schläge und Beleidigungen pausenlos erfolgt, bis sie sich schließlich blutüberströmt auf dem Badezimmerboden wiederfand, den Duschkopf im Mund, und zu ertrinken drohte. Sie hätte es schon da getan, sagte sie, als er sich vorbeugte und am Wasserhahn herumdrehte. Aber sie hatte nichts zur Hand, und außerdem war ihr Handgelenk gebrochen und baumelte nutzlos herunter. Also musste sie über die Badewanne gebeugt verharren, bis der Übergriff vorbei war, seine Schritte sich entfernten und die Tür zuschlug.
Ich hatte zu viel Salz in die Spaghetti Bolognese getan!, schrieb sie, mit einem ironischen Ausrufezeichen. Es brach mir fast das Herz.
Sie zeigte ihn nicht an. Stattdessen schleppte sie sich an jenem Abend hinaus in den Regen zu einer abgelegenen, zwielichtigen Gasse und leerte dort den Inhalt ihrer Tasche auf dem Boden aus. Dann stolperte sie zu einer Telefonzelle, von der aus sie die Polizei verständigte. Sie sei überfallen worden, sagte sie. Sie brachten sie ins Krankenhaus, wo sie versorgt wurde, aber sie wusste, dass sie ihr nicht glaubten. Niemand hatte ihr je den Katalog von » Missgeschicken« abgenommen, die ihr in ihrem dritten und vierten Ehejahr bereits widerfahren waren. Nicht ihre Mitarbeiterin Linda und auch nicht die Nachbarn, die ihr Wissen hinter einem verlegenen Schleier des Schweigens verbargen. Und als er sie aus dem Krankenhaus abholte, weinte er und sagte, er werde den Schweinehund umbringen, der ihr das angetan habe, und da wurde ihr klar, was sie zu tun hatte, und deshalb wurden es neun Jahre.
An dem Abend, als es passierte, gab es Essen vom Lieferservice statt den Rindereintopf, den sie ihm versprochen hatte. Es war chinesisches Essen, etwas, das sie lieber mochte als er, etwas, das sie sich seit Monaten nicht mehr zu bestellen getraut hatte, aber sie brauchte seine Wut, schrieb sie. Sie hatte es beim ältesten Chinarestaurant in ganz Liverpool, dem Goldenen Lotus, bestellt. Das war ihr Lieblingsrestaurant, in dem es ihr Lieblingsgericht gab, Garnelen in
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