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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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nickte. » Du hast auch mich verloren, und jetzt hast du mich wiedergefunden. Ich sollte auch darin vorkommen, findest du nicht?«
    » Dann musst du aber deinen Namen ändern«, meinte ich.
    » Ellis.«
    » Was?«
    » Das ist der Name, den ich gerne hätte. Ellis.«
    » Okay«, sagte ich.
    » Wie ist Jenny Pennys?«, wollte er wissen.
    » Liberty«, erwiderte ich. » Liberty Belle.«
    Wir setzten uns an einen leeren Tisch im hinteren Bereich des Raums, abseits von uns unbekannten Gästen und diejenigen ignorierend, die wir kannten, in die Nähe der aus Eis geformten Wodkabar und eines nicht endenden Vorrats an Mini-Hamburgern und dick panierten Scampi.
    » Ich dachte, du wärst vielleicht verheiratet«, sagte er.
    » Nein«, erwiderte ich.
    Schweigen.
    » Das ist alles? Nichts Konkreteres? Niemand Bestimmtes?«
    » Nein.«
    » Noch nie?«
    » Rückblickend betrachtet, nein.«
    » Rückblickend. Meine Güte, du bist genau wie er«, sagte Charlie und wies auf meinen Bruder, der gerade hinter dem behelfsmäßigen roten Samtvorhang auf der Bühne hervorgelinst hatte. » Euer eigener kleiner Club.«
    » So ist das nicht. Es ist kompliziert.«
    » Wir sind alle kompliziert, Ell. Erinnerst du dich an das letzte Mal, als wir uns sahen?«
    » Ja.«
    » Du warst neun, vielleicht zehn, oder? Und stinksauer auf mich.«
    » Er ist nie über dich hinweggekommen.«
    Er lachte. » Ja, ja.«
    » Ja, genau«, und ich griff hastig nach einem Glas Wein, das auf einem Tablett vorbeigetragen wurde.
    » Wie alt waren wir damals, fünfzehn? Verdammt. Wo ist nur die Zeit hin, Ell? Sieh uns an.«
    » Es ist, als wäre es gestern gewesen«, sagte ich und trank das halbe Glas in einem Zug leer. » Also, treibt ihr’s miteinander?«
    » Meine Güte, du bist ja so erwachsen geworden.«
    » Ja, das kam über Nacht. Und?«
    » Nein.« Er versuchte ein Glas Champagner vom Tablett zu stibitzen und schüttete es sich dabei über den Arm. » Er will nicht.«
    » Warum nicht?«
    » Er geht nicht zurück«, sagte er.
    Bobby, der Haarigste von The Judys, kam heraus auf die Bühne und stellte den Rest der Gruppe vor. Er sprach von den wohltätigen Zwecken, die am heutigen Abend vorgestellt wurden, und von den Künstlern, deren Werke im Raum ausgestellt waren. Er redete über Geld und bat um großzügige Spenden. » Übrigens«, sagte ich und wandte mich wieder an Charlie, » das war nicht das letzte Mal, dass ich dich gesehen habe. Das war nämlich, als du im Fernsehen warst und in ein Auto verfrachtet wurdest.«
    » Ach«, sagte er, » das.«
    » Also?«, hakte ich nach, aber er tat so, als höre er mich nicht, als die ersten Takte von » Dancing Queen« den Raum erfüllten.
    Ich konnte nicht schlafen. Umgetrieben von Jetlag und Kaffee, fand ich mich um drei Uhr morgens hellwach wieder. Ich stand auf, schlich in die Küche und schenkte mir ein großes Glas Wasser ein. Ich schaltete meinen Computer an. Atemgeräusche drangen laut und nah zu mir herüber. Mein Bruder machte nie seine Schlafzimmertür zu. Es war eine Sache der Sicherheit: Er musste die Geräusche seines Zuhauses hören, musste hören, ob sich ein anderes Geräusch einschlich. Ich schloss behutsam seine Tür. Heute Nacht war er in Sicherheit; sicher mit mir und sicher mit Charlie, der im Nachbarzimmer schlief.
    In der Dunkelheit um drei Uhr morgens war es, dass ich über den Moment schrieb, als Ellis wieder in unser Leben trat. An jenem Abend im August, als sich die Einkaufenden in den Eckkneipen versammelten und die neuesten Gerüchte über anstehende Verkäufe und Scheidungen austauschten und darüber, wer wen liebte und die kommenden Ferien. Ich schrieb darüber, wie er eintrat, mit einem Geldbeutel voller Fünfziger und Mitgliedsausweisen für das MOMA und die Met und Kundenkarten von Starbucks und auch Diedrich’s Coffee. Ich schrieb darüber, wie er mit dieser kleinen Narbe über der Lippe hereinkam, die von einem Skiunfall stammte, und mit einem gebrochenen Herzen wegen eines Mannes namens Jens. Ein Mann, den er nicht wirklich geliebt hatte, aber es war jemand gewesen, der da war, einer, mit dem man spät nachts noch reden konnte. Wir alle hatten schon einmal einen wie ihn. Ich schrieb darüber, wie er mit einem Brief in der Tasche hereinkam, den ihm seine Mutter ein paar Tage zuvor geschrieben hatte, ein Brief, der emotionaler war als gewöhnlich. Sie frage sich, wie es ihm gehe, wünsche sich, sie sprächen öfter miteinander und solche Sachen. Ich schrieb darüber, dass er ein

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