Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
Vom Netzwerk:
Martyrium in sich trug, über das er seit Jahren nicht gesprochen hatte, mit einer leeren Stelle, da, wo vorher ein Ohr gewesen war. Ich schrieb darüber, wie er mit dem Wissen hereinkam, dass er seinen Job aufgeben und die Schneepisten von Breckenridge und die Pfade der Rocky Mountains hinter sich lassen und sie gegen einen Ort in der Stille des Hinterlands eintauschen würde. Dort, wo die Nachbarn unsichtbar bleiben und die Shawangunk Berge über ihn wachen würden wie die Adler, die sie losließen. Alles eintauschen würde, für ein Leben mit einem merkwürdigen Jemand aus seiner entfernten Vergangenheit.
    So trat er wieder in mein Leben, so erinnere ich mich an sein Hereinkommen.

5. Juli 1997
    Jenny,
    Jeden Morgen hole ich mir den Guardian und die News of the World und gehe durch das zweibogige Tor in den Hof mit seinem Springbrunnen und dem Parkplatz und den Patienten, die überall auf den Bänken herumsitzen, mit Infusionsständern als ständigen Begleitern. Ich grüße nie jemanden, nicht einmal den Pförtner, sondern bleibe ganz für mich mit der Geschichte, die so still im oberen Stockwerk wohnt. Ginger ist vor meinen Augen geschrumpft. Vorübergehend hielt sie ein Gewicht, das sie vor Jahren begeistert hätte und ihr das bescherte, was sie eine » Figur« nennen würde, bevor es sie kopfüber in einen skelettartigen Zustand stürzte, zu schwach für alles außer Schlaf.
    Wir haben uns an den Krebs gewöhnt, genauso wie sie in vielerlei Hinsicht. Oder sie gewöhnte sich zumindest im Laufe der letzten sieben Jahre an den ständigen Zyklus von medikamentöser Behandlung und Chemotherapie und an das, was es mit ihrem Körper machte. Aber an die Infektion können wir uns einfach nicht gewöhnen und auch nicht an die Art und Weise, wie sie ihren Körper dahinrafft und gierig an ihrem Geist kratzt. Sie hat kein einziges Mal gesagt, ihre Krebserkrankung sei unfair, aber diese Infektion zehrt an ihrer Würde. Und das Selbstmitleid, das sie völlig aus ihrem Leben verbannt hatte, taucht nun immer wieder auf und lässt ihren Selbsthass immer größer werden. Sie hat ganz beschissene Karten, Jenny; die Tage, an denen sie es spürt, schmerzen uns im tiefsten Herzen. Ich fühle mich völlig hilflos.
    Während sie schläft, arbeite ich an ihrem Krankenbett. Ich schreibe an unserer Kolumne, die überraschend erfolgreich geworden ist. Ich sage überraschend, aber Du wirst sagen, Du hättest es immer gewusst. Über Liberty und Ellis spricht man nun in Zügen und Bussen und während der Mittagspause. Wie findest Du das, Jenny Penny, meine alte Freundin? Endlich bist Du berühmt …

Ich schaute aus dem Fenster. Die Nacht rückte den Gebäudearbeitern und den wuchernden Bäumen im Postman’s Park auf den Leib. Die Schatten waren lang und grotesk. Ich wollte nicht nach Hause gehen. Dies hier war zu meinem Zuhause geworden, die Krankenschwestern zu meinen Freunden. Und während der langen Nächte, die sich vor mir erstreckten, lauschte ich ihren Problemen, wenn sie über gebrochene Herzen und Geldsorgen sprachen, über Mieten und die Preise von Schuhen und davon, wie deprimierend London vor dem Regierungswechsel doch gewesen sei.
    Ich erzählte ihnen Geschichten von Ginger, dieser Frau, die Champagner mit Judy Garland geteilt hatte und ein Geheimnis mit Andy Warhol. Ich zeigte ihnen alte Fotos, denn ich wollte, dass sie diese Frau kennenlernten. Eine Frau, die noch immer bebte, wenn sie Geschichten davon hörte, dass jemand Liza auf der Fifth Avenue gesehen hatte oder die Garbo, hinter einer Sonnenbrille und einem Schal versteckt, auf der Upper East Side. Denn sie konnte sich noch immer für solch gewaltige Berühmtheit begeistern und erstrahlte im Angesicht von fremdem Ruhm, der die Untalentierten verschlungen hätte. Sie hatte ihren gefunden; hatte ihren Moment genossen, diesen goldenen Moment, dem auch die Jahre in seiner Makellosigkeit nichts anhaben konnten.
    » Was ist los, Liebling?«, murmelte Ginger, plötzlich aus dem Schlaf erwachend, und nahm kraftlos meine Hand.
    » Wie geht es dir?«, erkundigte ich mich.
    » Nicht allzu schlecht«, antwortete sie.
    » Wasser?«
    » Nur mit Scotch– du kennst mich.«
    Ich legte ihr ein kühles Tuch auf die Stirn.
    » Was ist los in der Welt?«, wollte sie wissen.
    » Gestern wurde Gianni Versace erschossen«, sagte ich und hielt die Zeitung hoch.
    » Gianni wer?«
    » Versace. Der Designer.«
    » Ach, der. Hab seine Kleider nie gemocht«, und sie sank zurück in den Schlaf,

Weitere Kostenlose Bücher