Als Gott ein Kaninchen war
vielleicht sogar zufrieden darüber, dass es wenigstens etwas Gerechtigkeit auf der Welt gab.
Die Sommerabende breiteten sich aus, und ich sehnte mich danach, sie mit hinaus in den Garten zu nehmen, damit sie Sonne abbekam und die Sommersprossen wieder ihre braunen Muster auf ihr Gesicht zeichneten. Ich wollte sie mit in meine Wohnung hinter der Cloth Fair nehmen, die Wohnung, die ich auf ihr Anraten schon nach einer fünfminütigen Besichtigung letzten November zu meinem neuen Zuhause gemacht hatte. Ich wollte in aller Frühe mit ihr auf dem Dach sitzen und über Smithfield blicken, zuschauen, wie der Fleischmarkt seine Pforten öffnet wie eine riesige nächtliche Blüte. Ich wollte, dass wir wieder den Glocken von Saint Bartholomew lauschten, während wir Croissants aßen, die Sonntagszeitung lasen und über Leute tratschten, die wir kannten, genauso wie über solche, die wir nicht kannten. Aber mehr als alles andere wollte ich, dass sie wieder von einem Wohlbefinden erfasst und vom bunten Kielwasser des Londoner Lebens mitgerissen wurde. Aber Ginger würde nie wieder hinausgehen können, und schließlich sagte ich ihr, sie verpasse nicht viel, weil wir ja sowieso schon alles gemacht hätten und alles erlebt, nicht wahr? Also sei es die Mühe gar nicht wert.
» Ich hätte gern, dass meine Asche hier verstreut wird, Liebes«, sagte sie eines Tages zu mir und zeigte auf ein Bild, das auf unserem Steg aufgenommen wurde, der Fluss hinter ihr voll und angeschwollen. » Dann kann ich weiter ein Auge auf euch alle haben.«
» Alles, was du willst«, erwiderte ich. » Du sagst mir ganz einfach, was du möchtest«, und sie tat es, und ich verbarg meine Tränen hinter einem Blatt Papier und einem Krankenhauskugelschreiber.
An diesem Abend ging ich nach Hause, um zu duschen und meine Kleider zu wechseln. Die uralte Straße hinter der Kirche lag verlassen da, und das Flüstern vergangener Leben begleitete mich in die Gasse, zur Geborgenheit meiner Haustür. Beim Geräusch von Schritten drehte ich mich um; ein flüchtiger Umriss, der in die Schatten zurückwich; ein Lachen; Gesprächsfetzen, das Echo von Abschied hallte vom Mauerwerk, und danach die Stille. Stille. Schwülstig und gefühlvoll. Man konnte sie schmecken.
Ich betrachtete meinen Körper im Spiegel, einen Körper, den ich einst mit Verachtung verleugnet hatte. Er war nie gut genug gewesen– nicht für mich, nicht für andere–, aber in jener Nacht sah er schön aus, er sah kräftig aus, und das genügte. Ich machte die Schublade auf und holte den Ring ihrer Mutter aus seinem Versteck, der einst auch der ihre gewesen war. Die abgewetzte Inschrift an der Innenseite: Las Vegas 1952. Unsere Erinnerungen. X
Sie hatte mir nie gesagt, wer er war, aber Arthur meinte, er sei ein Nichtsnutz gewesen, also waren ihre Erinnerungen wohl übersichtlich geblieben. Jetzt passte er mir, passte auf meinen Ringfinger. Ich steckte ihn mir an und hielt ihn hoch ins Licht. Die Diamanten und Saphire funkelten. Ich lächelte wie das Kind, das ihn einst bekommen hatte, erstarrt in der Zeit. Erstarrt in der Zeit.
Ich nahm den Hörer ab und fragte mich, was ich ihm wohl sagen würde. Vor sechs Wochen, als sie ins Krankenhaus kam, war er zuletzt hier gewesen. Er war von New York hergeflogen, obwohl sein Chef dagegen war, damit drohte, ihn zu feuern. Aber er war trotzdem hergeflogen, weil er Ginger liebte, also war es für ihn selbstverständlich, dass er kam. Und als ich ihn mit auf die Station nahm und sie sein Gesicht sah, fing sie vor Freude so an zu strahlen, man hätte meinen können, seine bloße Anwesenheit hätte den Krebs verdrängt. In der Woche sah es so aus, als würde sie gesund werden, und es ging ihr auch tatsächlich besser, aber das war vor der Infektion. Bevor er abreiste, versprach er, sie im Oktober wieder besuchen zu kommen. Nun war die dritte Juliwoche angebrochen. Es wählte.
» Hey Joe«, sagte ich.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
» Es dauert nicht mehr lang«, sagte ich.
» Okay«, erwiderte er. » Ruf mich an, wenn du bei ihr bist.«
» Klar.«
» Wie geht es dir?«
» Miserabel.«
Weder meine Eltern noch Nancy kamen in dieser letzten Woche noch einmal zu Besuch, weil Ginger es nicht wollte. Sie flehten sie an, stritten mit ihr, aber sie meinte bloß: » Ich will nicht, dass ihr mich so in Erinnerung behaltet.« Aber die Wahrheit war, dass sie es nicht ertragen konnte, sich zu verabschieden. Das Alter hatte sie weicher werden lassen, und
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