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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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nun wurden ihre Gefühle von Authentizität begleitet. Worte, die zuvor einem Lied vorbehalten waren, wurden nun ihre eigenen. Meinen Eltern fiel es schwer, ihren Wunsch zu akzeptieren, aber sie respektierten ihn schließlich widerwillig und bereiteten sich im Stillen auf ein Leben ohne sie vor. Meine Mutter ließ sich einen sehr hübschen Bob schneiden. Nancy unterschrieb einen Vertrag für eine Fernsehserie in L. A. Und mein Vater ging wieder in den Wald und fällte einen Baum. Das Geräusch des brechenden, splitternden Stamms, der auf die Erde stürzte, war das Geräusch, das sein Herz gemacht hätte, wenn es sprechen könnte.
    Und während Ginger immer schwächer wurde, machte ich den letzten Anruf, den, der ihn am darauffolgenden Morgen zur Paddington Station brachte, wo ich seinem unsicheren Aussteigen von der Absperrung aus mit einem resignierten Lächeln begegnete. Er sah alt und bekümmert aus, und der Spazierstock, den er einst bloß als Requisite benutzt hatte, diente ihm nun als Krückstock. Während der Taxifahrt war er schweigsam, und wir vermieden es, ihren Namen zu erwähnen, bis wir die Farringdon Road hinunterfuhren, und er mich fragte, auf welcher Station sie liege und ob sie irgendetwas brauche.
    » Okay?«, erkundigte ich mich und ergriff seine Hand.
    Er nickte, und als wir nach Smithfield kamen, sagte er: » Ich war einmal mit einem jungen Metzger dort befreundet.«
    » Schöne Erinnerungen?«, fragte ich.
    Er drückte meine Hand, und ich wusste genau, was dieses Drücken bedeutete. » Ich habe noch nicht über ihn geschrieben«, sagte er. » Aber ich werde es noch tun. Kapitel dreizehn, glaube ich, das mit dem Titel › Weitere Zerstreuungen‹«. Er bemühte sich sehr.
    Er stolperte, als wir aus dem Auto stiegen, und ich hörte ihn tief seufzen. » Wie geht es ihr, Elly? Wirklich?«
    » Nicht gut, Arthur«, antwortete ich und führte ihn zum Eingang.
    Er beugte sich über ihr Bett, berührte ihre Wange und sagte: » Wer hat hier keine Wangenknochen?«, und sie lächelte und tätschelte ihm die Hand und sagte: » Dummer, alter Narr. Hab mich gefragt, wann du endlich herkommst.«
    » Immer noch unsere gute alte Ginger«, flüsterte er, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss.
    » Du riechst gut«, stellte sie fest.
    » Chanel«, sagte er.
    » Perlen vor die Säue«, schnaubte sie, und er griff nach seiner Tasche und holte ein Stück Mandeltorte heraus.
    » Schau mal, was ich da habe«, sagte er triumphierend und hielt es ihr unter die Nase.
    » Mandeln. Wie in Paris.«
    » Wir teilen es uns«, sagte er. » Wie in Paris.«
    Ich erfuhr nie, ob sie wirklich Appetit darauf hatte oder nicht, denn sie hatte schon seit Tagen keine feste Nahrung mehr zu sich genommen. Aber er brach ein Stück ab, hielt es ihr an den Mund, und sie aß es hungrig; denn es war die Erinnerung, die sie schmeckte, und diese Erinnerung schmeckte gut.
    Ich schob einen Stuhl ans Bett und lauschte den Geschichten, die zwischen der Jugend und dem besten Alter hin und her schwankten; Geschichten von dem kleinen Hotel namens Saint André des Arts, wo sie bis in die Morgenstunden tranken und dem Paar gegenüber beim Liebemachen zusahen. Ein so schöner Anblick, dass man noch vierzig Jahre später davon sprach. Sie waren zwei beste Freunde, die sich Geschichten erzählten, die die Freundschaft geschrieben hatte.
    Ich ließ sie allein und ging zur Treppe, und als ich sie hinunterstieg, überkam mich ein dankbares Wohlbefinden. Ich ging hinaus und atmete die frische Luft ein. Ich spürte die Sonne auf der Haut. Die Welt ist ein anderer Ort, wenn es einem gut geht, wenn man jung ist. Die Welt ist schön und unbedenklich. Ich grüßte den Pförtner. Er grüßte zurück.

29. Juli 1997
    Jenny,
    es ist etwas passiert, dass du, glaube ich, wissen wollen würdest. Gestern Nachmittag, von einer Morphiumwelle getragen, erzählte uns Ginger von dem Besuch, den sie früher am Tag bekommen hatte. Das war seltsam, denn weder Arthur noch ich hatten einen Besucher gesehen, und wir waren den ganzen Vormittag über bei ihr gewesen. Er habe ihr Blumen gebracht, sagte sie, dieser Mann; er habe ihr ihre Lieblingsblumen gebracht, weiße Rosen. Blumen, die früher immer ihre Garderobe schmückten und die ihr das Gefühl gaben, alles sei möglich. Ich sah Arthur an, und wir zuckten ratlos mit den Schultern, denn da waren keine weißen Rosen, bloß eine kleine Vase mit Freesien, die eine der Krankenschwestern ein paar Tage zuvor hingestellt hatte.

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