Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
in England gefunden. Jemand anderem, der reich gewesen war, ging es jetzt in Amerika sehr schlecht, seine Frau mußte putzen gehen. Ein berühmter Professor war verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht worden. (Konzentrationslager? Dann fiel Anna ein, daß dies ein besonderes Gefängnis für Leute war, die gegen Hitler waren.) Die Nazis hatten ihn an eine Hundehütte gekettet. »Wie unsinnig«, dachte Anna, während Omama, die eine Verbindung zwischen dieser Tatsache und Pumpels Tod zu sehen schien, immer aufgeregter sprach. Der Hundezwinger stand am Eingang des Konzentrationslagers, und jedesmal, wenn jemand hinein- oder hinausging, mußte der berühmte Professor bellen. Er bekam etwas Essen in einer Hundeschüssel, und durfte es nicht mit den Händen berühren.
Anna wurde plötzlich ganz übel.
Bei Nacht mußte der berühmte Professor in der Hundehütte schlafen. Die Kette war so kurz, daß er nie aufrecht stehen konnte. Nach zwei Monaten - »zwei Monate...!« dachte Anna - war der berühmte Professor wahnsinnig geworden. Er war immer noch an die Hütte angekettet und mußte immer noch bellen, aber er wußte nicht mehr, was er tat.
Vor Annas Augen schien sich plötzlich eine schwarze Wand aufzurichten. Sie konnte nicht mehr atmen. Sie hielt ihr Buch fest vor sich und tat so, als läse sie. Sie wünschte, sie hätte nicht gehört, was Omama sagte. Sie wünschte, sie könne es loswerden, es erbrechen.
Mama mußte etwas gemerkt haben, denn plötzlich war es still, und Anna merkte, wie Mama sie ansah.
Sie starrte angestrengt in ihr Buch und blätterte eine Seite um, als wäre sie in ihr Buch vertieft. Sie wollte nicht, daß Mama, und schon gar nicht, daß Omama zu ihr spräche.
Einen Augenblick später begann die Unterhaltung wieder. Diesmal sprach Mama mit lauter Stimme, aber nicht über Konzentrationslager, sondern wie kalt das Wetter geworden sei.
»Hast du da ein schönes Buch, mein Herzchen?« sagte Omama. »Ja, danke«, sagte Anna und brachte es fertig, mit ganz normaler Stimme zu sprechen. Sobald wie möglich, stand sie auf und ging zu Bett. Sie wollte Max erzählen, was sie gehört hatte, brachte es aber nicht fertig. Es war besser, nicht einmal daran zu denken.
In Zukunft wollte sie versuchen, überhaupt nicht mehr an Deutschland zu denken.
Am nächsten Morgen packte Omama ihre Koffer.
Nun, da Pumpel nicht mehr war, hatte sie nicht das Herz, noch zu bleiben. Aber etwas Gutes hatte ihr Besuch doch. Ehe sie ging, händigte sie Anna und Max einen Umschlag aus. Sie hatte darauf geschrieben: »Ein Geschenk von Pumpel«, und als die Kinder den Umschlag öffneten, fanden sie darin etwas mehr als elf Schweizer Franken.
»Ich will, daß ihr das Geld für etwas ausgebt, das euch Spaß macht«, sagte Omama.
»Was ist es denn?« fragte Max, der von ihrer Großzügigkeit überwältigt war.
»Es ist das Geld für Pumpels Rückfahrschein nach Südfrankreich«, sagte Omama mit Tränen in den Augen. »Man hat ihn zurückgenommen.«
So hatten Anna und Max doch noch genug Geld, um auf den Jahrmarkt zu gehen.
11
Papa kam an einem Sonntag aus Paris zurück, und Anna und Max fuhren zusammen mit Mama nach Zürich, um ihn abzuholen. Es war ein kühler sonniger Tag Anfang Oktober, und als sie alle zusammen mit dem Dampfer nach Hause fuhren, sahen sie auf den Bergen schon Neuschnee.
Papa war sehr zuversichtlich. Es hatte ihm in Paris gefallen. Er hatte zwar, um zu sparen, in einem muffigen kleinen Hotel gewohnt, aber ausgezeichnet gegessen und viel guten Wein getrunken. Alle diese Dinge waren in Frankreich billig. Der Herausgeber der »Pariser Zeitung« war sehr freundlich gewesen, und Papa hatte auch mit den Herausgebern verschiedener französischer Blätter gesprochen. Auch sie hatten gesagt, er solle für sie schreiben.
»Auf Französisch?« fragte Anna.
»Natürlich«, sagte Papa. Er hatte eine französische Erzieherin gehabt, als er klein war und konnte Französisch so gut sprechen wie Deutsch.
»Dann werden wir also alle in Paris wohnen?« fragte Max.
»Mama und ich müssen erst noch einmal darüber sprechen«, sagte Papa. Aber es war klar, was er wünschte.
»Wie herrlich«, sagte Anna.
»Es ist noch nicht entschieden«, sagte Mama. »Es können sich auch noch Möglichkeiten in London ergeben.«
»Aber da ist es feucht«, sagte Anna.
Mama wurde ganz böse. »Unsinn«, sagte sie. »Was weißt du denn darüber?«
Es lag daran, daß Mama nicht gut Französisch sprach. Während Papa von seiner
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