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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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ihr. Es war Vreneli. Ihre langen dünnen Zöpfe waren oben auf dem Kopf zusammengeknotet, damit sie nicht naß wurden, und ihr langes, mageres Gesicht sah rosiger und bekümmerter aus denn je.
    »Es tut mir leid wegen heute morgen«, sagte Vreneli atemlos. »Wir haben uns entschlossen, lieber mit euch zu spielen, auch wenn wir dann nicht mehr mit Siegfried und Gudrun spielen können.«
    Dann tauchte Franz am Ufer auf. »Hallo Max«, rief er. »Bringst du den Würmern das Schwimmen bei?«
    »Ich hätte eben einen großen Fisch gefangen«, sagte Max, »wenn du ihn nicht verscheucht hättest.«
    Aber er war trotzdem sehr froh.
    Beim Abendessen an diesem Tag sah Anna die deutschen Kinder zum letztenmal. Sie saßen mit ihren Eltern steif an ihrem Tisch. Ihre Mutter sprach ruhig und eindringlich auf sie ein, und sogar der Junge wandte sich nicht ein einziges Mal um, um Anna und Max anzusehen.
    Am Ende der Mahlzeit ging er dicht an ihrem Tisch vorüber und tat so, als könnte er sie nicht sehen.
    Am nächsten Morgen reiste die deutsche Familie ab.
    »Ich fürchte, daß wir Herrn Zwirns Kunden vertrieben haben«, sagte Papa.
    Mama triumphierte.
    »Aber es ist doch schade«, sagte Anna. »Ich weiß bestimmt, daß der Junge uns gern hatte.«
    Max schüttelte den Kopf. »Zum Schluß hatte er uns gar nicht mehr gern«, sagte er. »Da hatte seine Mutter ihn ganz fertig gemacht.«
    »Er hat wohl recht«, dachte Anna. Was mochte der deutsche Junge jetzt wohl denken, was hatte seine Mutter ihm über sie und Max gesagt, und wie würde er sein, wenn er erwachsen war?

10
    Kurz vor dem Ende der Sommerferien fuhr Papa nach Paris. Es lebten jetzt dort so viele deutsche Flüchtlinge, daß sie eine eigene Zeitung gegründet hatten. Sie hieß »Pariser Zeitung« und einige der Artikel, die Papa in Zürich geschrieben hatte, waren darin erschienen. Jetzt hatte ihn der Herausgeber gebeten, regelmäßig für die Zeitung zu schreiben.
    Papa hoffte, daß, wenn sich die Mitarbeit an der Zeitung gut einspielte, sie alle nach Paris ziehen und dort leben könnten.
    Am Tag nach seiner Abreise kam Omama auf Besuch. Sie war die Großmutter der Kinder und lebte gewöhnlich in Südfrankreich.
    »Wie komisch«, sagte Anna, »Omamas und Papas Züge könnten aneinander vorbeifahren, und sie könnten sich zuwinken.«
    »Das würden sie aber nicht tun«, sagte Max. »Sie mögen sich nicht.«
    »Warum nicht?« fragte Anna. Es fiel ihr jetzt ein, daß Omama wirklich immer nur zu Besuch kam, wenn Papa weg war.
    »Das ist eine alte Familiengeschichte«, sagte Max in einem so erwachsenen Tonfall, daß es sie wütend machte.
    »Sie wollte nicht, daß Papa und Mama sich heirateten.«
    »Aber daran läßt sich doch jetzt nichts mehr ändern«, sagte Anna und kicherte.
    Als Omama ankam, war Anna mit Vreneli spielen gegangen, aber sie wußte sofort, daß sie da war, denn aus einem offenen Fenster des Gasthauses erklang ein hysterisches Bellen. Omama ging ohne ihren Dackel Pumpel nirgendwo hin. Anna folgte dem Gekläff und fand Omama bei Mama.
    »Anna, mein Herzchen«, rief Omama. »Wie schön, dich zu sehen!« Und sie drückte Anna an ihren üppigen Busen. Nach einer Weile fand Anna, sie wäre jetzt genug gedrückt worden und fing an zu zappeln, aber Omama hielt sie fest und drückte sie noch mehr.
    Anna erinnerte sich, daß Omama das immer getan hatte. »Wie lange ist das schon her!« rief Omama.
    »Dieser schreckliche Hitler...!« Ihre Augen, die blau waren wie Mamas, bloß viel blasser, füllten sich mit Tränen und ihr Doppelkinn zitterte. Es war schwierig, genau zu verstehen, was sie sagte, weil Pumpel solchen Lärm machte. Nur ein paar Bruchstücke: »...aus unserer Heimat gerissen« und »...verstreute Familien« übertönten das wütende Gebell.
    »Was ist denn mit Pumpel los?« fragte Anna.
    »Oh, Pumpel, mein armer Pumpel! Sieh ihn dir an!« rief Omama.
    Anna hatte ihn sich angesehen. Er benahm sich sehr seltsam. Sein braunes Hinterteil stand steil in die Luft, und er legte immer wieder den Kopf auf die gestreckten Vorderpfoten, als verneige er sich. Zwischen den Verbeugungen blickte er flehend auf etwas über Omamas Waschbecken. Da Pumpel die gleiche Tonnenform hatte wie Omama, war dieses Vorgehen sehr schwierig für ihn.
    »Was will er denn?« fragte Anna.
    »Er bettelt«, sagte Omama. »Er bettelt um die elektrische Birne da. Oh, aber Pumpel, mein Liebling, die kann ich dir doch nicht geben!«
    Anna machte große Augen. Über dem Waschbecken befand sich

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