Als ich im Sterben lag (German Edition)
sie’s, so gut wie schriftlich. Nicht nötig, dass Sie ihr was sagen. Ihr Verstand …»
Das Mädchen sagt hinter uns: «Pah!» Ich sehe sie an, ihr Gesicht.
«Besser, du gehst, aber schnell», sage ich.
Als wir ins Zimmer treten, sieht sie zur Tür. Sie sieht mich an. Ihre Augen wie Lampen, die kurz aufflackern, wenn das Petroleum verbraucht ist. «Sie will, dass ihr rausgeht», sagt das Mädchen.
«Aber Addie», sagt Anse, «wo er doch den ganzen Weg von Jefferson hergekommen is, um dich gesund zu machen.» Sie sieht mich an, ich kann ihre Augen fühlen. Als ob sie mich mit ihnen stieße. Ich habe das schon früher bei Frauen beobachtet. Habe gesehen, wie sie die aus dem Zimmer trieben, die mit Mitgefühl und Mitleid und ehrlicher Hilfsbereitschaft kamen, und sich stattdessen an einen nichtsnutzigen Kerl klammerten, für den sie nie mehr als Packesel gewesen waren. Das ist es, was sie mit der Liebe meinen, die über alles Verstehen hinausgeht: dieser Stolz, die erbitterte Begier, die erniedrigende Nacktheit zu verbergen, die wir mit uns bringen, in Operationssäle, und die wir trotzig und zornig wieder mitnehmen in die Erde. Ich gehe aus dem Zimmer. Hinter der Veranda schnarcht Cashs Säge sich stetig durch ein Brett. Gleich darauf ruft sie seinen Namen, ihre Stimme ist schroff und kräftig.
«Cash!», ruft sie. «He, Cash!»
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Darl
Pa steht neben dem Bett. Hinter seinem Bein linst Vardaman hervor mit rundem Kopf und runden Augen; langsam öffnet sich sein Mund. Sie sieht Pa an; ihr versiegendes Leben, der letzte Rest, scheint sich in ihren Augen zu sammeln, drängend, nicht wiedergutzumachen. «Sie will, dass Jewel kommt», sagt Dewey Dell.
«Ach Addie», sagt Pa, «Jewel und Darl sind noch mal los, eine Fuhre machen. Sie dachten, es wär noch Zeit. Dass du auf sie warten würdest und dass drei Dollar und so …» Er bückt sich und legt seine Hand auf ihre. Eine Weile sieht sie ihn noch an, ohne Vorwurf, ohne überhaupt irgendetwas, als lauschten einzig ihre Augen auf das unabänderliche Schweigen seiner Stimme. Dann richtet sie sich auf, sie, die sich seit zehn Tagen nicht gerührt hat. Dewey Dell beugt sich nieder und versucht, sie zurückzudrücken.
«Ma», sagt sie. «Ma.»
Sie sieht aus dem Fenster auf Cash, der sich im schwindenden Tageslicht unerschütterlich über das Brett beugt, sich an die Dunkelheit heran- und in die Dunkelheit hineinarbeitet, als spende jedes Hin und Her der Säge Helligkeit und erzeuge so erst Brett und Säge.
«He, Cash!», ruft sie, ihre Stimme schroff, fest, ungebrochen. «Hörst du, Cash!»
Er sieht zu dem hageren, im Dämmerlicht vom Fenster gerahmten Gesicht hinüber. Es ist ein Bild, das zusammengesetzt ist aus aller Zeit, seit er ein Kind war. Er lässt die Säge fallen und hebt das Brett hoch, damit sie es sehen kann, und beobachtet das Fenster, in dem das Gesicht sich nicht geregt hat. Er zieht ein zweites Brett heran und kippt die beiden an den Kanten schräg gegeneinander, so wie sie später verleimt und vernagelt werden sollen, und zeigt auf die anderen, die noch auf der Erde liegen; mit der freien Hand zeichnet er die Umrisse des fertigen Sargs in die Luft. Eine Weile sieht sie noch aus dem sein Leben umfassenden Bild zu ihm hinaus, weder tadelnd noch zustimmend. Dann verschwindet das Gesicht.
Sie legt sich zurück und wendet den Kopf, ohne auch nur einen flüchtigen Blick für Pa zu haben. Sie schaut zu Vardaman. Ihre Augen: jäh kehrt Leben in sie zurück; die beiden Flammen leuchten einige Sekunden ruhig und hell auf, dann gehen sie aus, als hätte jemand sich niedergebeugt und sie ausgeblasen.
«Ma», sagt Dewey Dell. «Ma!» Sich über das Bett lehnend, die Hände leicht erhoben, den Fächer immer noch bewegend wie seit zehn Tagen, stimmt sie die Totenklage an. Ihre Stimme ist kräftig, jung, vibrierend und klar, wird fortgerissen vom eigenen Klang und der eigenen Fülle; der Fächer bewegt sich immer noch gleichmäßig auf und nieder, ein Wispern in der nutzlosen Luft. Dann wirft sie sich über Addie Bundrens Knie, umklammert sie und schüttelt sie mit der ungestümen Kraft der Jugend, lässt sich dann plötzlich mit dem ganzen Körper auf das Bündel dürrer Knochen fallen, das von Addie Bundren übrig geblieben ist, sodass das Bett ächzt und die Matratzenfüllung aus getrockneten Maisblättern laut knistert; mit ausgebreiteten Armen liegt sie da, und der Fächer in ihrer Hand schlägt mit schwindender Kraft noch immer
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