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Als ich im Sterben lag (German Edition)

Als ich im Sterben lag (German Edition)

Titel: Als ich im Sterben lag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Faulkner
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ein hochgewachsener Mann und jung – und wie ein großer Vogel aussah, der bei kaltem Wetter auf dem Wagensitz Kopf und Hals einzieht. Er fuhr langsam am Schulhaus vorbei, der Wagen knarrte, er wandte den Kopf zur Tür des Schulhauses hin, während er vorbeifuhr, bis er um die Ecke musste und nicht mehr zu sehen war. Eines Tages ging ich zur Tür und stand dort, als er vorbeikam. Als er mich sah, wandte er schnell den Kopf und blickte sich nicht mehr um.
    Früh im Frühjahr war es am schlimmsten. Manchmal dachte ich, ich könnte es nicht ertragen, wenn ich nachts im Bett lag; die Wildgänse zogen nach Norden, und ihr Schrei drang von fern und hoch oben und wild aus der wilden Dunkelheit zu mir. Und am Tag war es, als könnte ich es nicht erwarten, dass der Letzte das Schulhaus verließ, damit ich zur Quelle hinuntergehn konnte. Und als ich an jenem Tag aufblickte und Anse in seinen Sonntagskleidern dort stehen sah, den Hut in den Händen herum und herum drehend, sagte ich:
    «Sie kennen bestimmt ein paar Frauen, warum um alles in der Welt sorgen die nicht dafür, dass Sie sich mal die Haare schneiden lassen?»
    «Kenn keine Frauen», sagte er. Dann sagte er abrupt, und seine Augen drangen auf mich ein wie zwei gehetzte Hunde in einem fremden Hof: «Darum bin ich ja zu Ihnen gekommen.»
    «Und die Ihnen sagen, Sie sollen die Schultern gerade halten», sagte ich. «Aber Sie kennen keine Frauen? Sie haben aber doch ein Haus. Es heißt, Sie haben ein Haus und eine gute Farm. Und Sie leben da allein, machen alles selbst, stimmt das?» Er sah mich nur an, drehte den Hut in den Händen. «Ein neues Haus», sagte ich. «Haben Sie vor zu heiraten?»
    Und er sagte wieder, seine Augen in meine bohrend: «Darum bin ich ja zu Ihnen gekommen.»
    Später sagte er: «Ich hab keine Verwandten. Darüber brauchst du dir also keine Gedanken zu machen. Von dir kannst du wohl nicht dasselbe sagen.»
    «Nein. Ich habe Verwandte. In Jefferson.»
    Sein Gesicht sackte leicht in sich zusammen. «Na ja, ich hab ein bisschen Geld. Ich bin sparsam. Ich hab einen guten ehrlichen Namen. Ich weiß, wie Stadtleute sind, aber vielleicht, wenn sie sich mit mir unterhalten …»
    «Vielleicht hören sie zu», sagte ich. «Aber es wird schwer sein, sich mit ihnen zu unterhalten.» Er sah mich fragend an. «Sie liegen auf dem Friedhof.»
    «Aber deine lebende Verwandtschaft», sagte er, «die ist anders.»
    «Meinst du?», sagte ich. «Ich weiß nicht. Ich hatte immer nur die auf dem Friedhof.»
    So nahm ich also Anse. Und als ich wusste, dass ich Cash in mir trug, da wusste ich, dass zu leben schrecklich und dies die Antwort darauf war. Damals lernte ich, dass Wörter keinen Sinn haben, dass Wörter nie passen, einerlei, was sie auszudrücken versuchen. Als er zur Welt kam, wusste ich, dass «Mutterschaft» von jemandem erfunden worden war, der dafür ein Wort brauchte, denn die, die die Kinder hatten, kümmerte es nicht, ob es dafür ein Wort gab oder nicht. Ich wusste, das «Furcht» von jemandem erfunden war, der nie Furcht gekannt hatte; «Stolz» von jemandem, der nie stolz gewesen war. Ich wusste, dass der Grund nicht der gewesen war, dass sie sich nicht die Nase geputzt hatten, sondern weil wir durch Wörter miteinander hatten umgehen müssen, Wörter, die vor ihren Mündern wie Spinnen von einem Balken hingen, sich hin und her bewegten, sich drehten und nie die richtigen waren, und dass nur durch die Schläge der Rute mein Blut und ihr Blut in einem gemeinsamen Strom fließen konnte. Ich wusste, dass es nicht so gewesen war, dass mein Alleinsein jeden Tag wieder und wieder verletzt werden musste, sondern dass es nie verletzt worden war, bis Cash kam. Nicht einmal von Anse, in den Nächten.
    Auch er hatte ein Wort. Liebe nannte er es. Aber ich war seit langem an Wörter gewöhnt. Ich wusste, dass dies Wort wie die andern war: nur eine Form, ein Bedürfnis zu stillen; wenn es die rechte Zeit dafür war, würde man kein Wort brauchen, so wenig wie für Stolz oder Furcht. Cash brauchte es mir nicht zu sagen, so wenig wie ich ihm, und ich sagte mir: Soll Anse es benutzen, wenn ihm danach ist. Ob Anse oder Liebe, Liebe oder Anse: es ist einerlei.
    Ich dachte sogar so, wenn ich mit ihm im Dunkeln lag und Cash in der Wiege schlief, in Reichweite meiner ihn schaukelnden Hand. Ich dachte, wenn er aufwacht und weint, werde ich ihn an mir trinken lassen. Anse oder Liebe: es war einerlei. Mein Alleinsein war verletzt und durch die Verletzung wieder heil

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