Als ich lernte zu fliegen
nicht einmal mitgeteilt, dass es vorbei war, sondern ging davon aus, dass sie es schon kapieren würden, wenn sie sich nicht mehr meldete. Vielleicht gibt ihr das ein Gefühl von Wichtigkeit, ähnlich wie das Taktieren im Büro. Gut möglich, dass sie mit Wesley Schluss gemacht hat und er es noch gar nicht weiß; das wäre wirklich schade, da er Wesley, verglichen mit ihren anderen Freunden, ganz gern mochte; schließlich nahm er keine Drogen und hatte einen richtigen Job.
»Hallo schon wieder«, sagt die schönste Frau der Welt, als sie, während er aussteigt, an ihm vorbei den Lift betritt.
»Äh – hi!« Asif lässt vor Schreck sein Handy fallen, fängt es aber wie einen zappelnden Fisch wieder auf, genauso tollpatschig wie vor ein paar Tagen in der U-Bahn, als er die Pendler aus Finchley damit belustigt hat. Reflexartig schlüpft er rückwärts in den Lift zurück.
»W ollten Sie nicht zum Mittagessen?«, fragt die SCHÖNSTE FRAU DER WELT .
»Ja, aber ich muss noch schnell zu meinem Schreibtisch zurück, was holen … mein Handy …« Er sieht die Schöne fragend zu seinem Handy hinunterblicken, das er noch in der Hand hält, und dann wieder hoch zu ihm. »Mein Handy- … Ladegerät …«, improvisiert er. Ihm wird bewusst, dass er allein mit ihr ist. Zu seiner Erleichterung hält der Lift im ersten Stock, und drei Trainees aus der Wirtschaftsprüfung kommen herein und lachen lauthals über einen Witz.
Die Schöne nickt und konzentriert sich auf ihr eigenes Handy, liest eine SMS . Da sagt Asif, ohne es eigentlich zu wollen: »Ich freue mich sehr, Sie zu sehen.«
»W irklich? Warum?«, fragt die Schöne sachlich und hebt das Kinn, so dass der Seidenvorhang ihres tintenschwarzen Haars über ihre Wangenknochen streicht.
Asif wird rot, da er ihr natürlich nicht die Wahrheit sagen kann: dass er erleichtert darüber ist, dass es sie wirklich gibt. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht, ich hätte Sie erschreckt und aus dem Büro vertrieben, als ich vor ein paar Tagen reingeplatzt bin«, murmelt er stattdessen.
»Ach, ich bin ein großes Mädchen, da braucht es schon mehr, um mich in die Flucht zu schlagen«, erwidert die Schöne. »Ich musste nur ein paar Tage zu Hause arbeiten, meine Babysitterin ist krank.« Beide steigen im fünften Stock aus. Sie geht ein paar Schritte in Richtung Finanzdienste, dann dreht sie sich um. »Entschuldigung, wo sind meine Manieren geblieben? Ich bin Mei Lin Thompson.«
»Asif Murphy«, sagt Asif. »Schön, Sie kennenzulernen. Ich arbeite hier in der Unternehmenssanierung, bin letztes Jahr von der Wirtschaftsprüfung herübergekommen. Sie sind wohl bei den Finanzdiensten?«
»Nein, weiter hinten auf dem Gang. Internes Marketing und Kommunikation, als Strafe für meine Sünden«, sagt Mei Lin und nickt zu den Memos, die schon die Altpapiertonnen am Eingang des Korridors füllen. »W ar ja nicht zu übersehen, dass ich gerade aus dem Mutterschutz zurückgekehrt bin.« Sie lächelt und wendet sich ab, doch Asif kann den Gedanken nicht ertragen, dass er nun zusehen muss, wie sie sich von ihm entfernt, deshalb sagt er das Nächstbeste, das ihm durchs Hirn schießt, damit sie noch bleibt; schließlich hat sie sich noch nicht verabschiedet. »Mei Lin ist ein schöner Name. Sind Sie Chinesin?«
»Halb, meine Mutter ist eine Chinesin aus Malaysia«, sagt sie. »Und Sie? Sind Sie Ire?«
»Zur Hälfte. Und zur Hälfte Pakistani. Halb-halb.« Asif lacht ein bisschen, damit es klingt, als hätte er einen Witz gemacht, auch wenn das gar nicht stimmt. Er wünscht sich sehnlichst, ihm wäre etwas wirklich Witziges eingefallen.
»Also tschüs dann. Bis zum nächsten Mal«, sagt Mei Lin mit diesem schrägen Lächeln in den strahlenden Augen, dann schlendert sie davon.
Asif sieht ihr nicht nach, bis sie ganz verschwunden ist, sondern nur so lange, bis er sich überzeugen kann, dass auch andere Leute sie bemerken. Nur, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich existiert und er sie nicht erfunden hat. Mist, er hätte fragen sollen, wie es ihrem Baby geht. Er hätte sie mit seiner Aufmerksamkeit beeindrucken können; Frauen mögen es immer, wenn die Leute sich nach ihren Kindern erkundigen. Er erinnert sich an das wunderschöne Lachen des Babys, an die frechen Rasierpinselhaare und die blitzenden, wachen Augen. Wahrscheinlich hat die Kleine einen gut aussehenden Karrieretypen als Vater. Das ist das Problem, wenn man der perfekten Frau begegnet, denkt Asif an seinem Schreibtisch, wahrscheinlich
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