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Als ich lernte zu fliegen

Als ich lernte zu fliegen

Titel: Als ich lernte zu fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roopa Farooki
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V-E-R-D-A-M-M-T-E-N Goldfisch im Glas.« Lila gab sich bei dem Wort »v erdammten« große Mühe; sie hörte es oft in der Schule, wusste aber nicht genau, was es bedeutete, wie es geschrieben wurde oder ob es so schlimm war wie » S-C-H-E-I-S-S-E «, das wichtigste Schimpfwort, das sie nie sagen durfte. »Genauso unfair ist es, dass der Fernseher in Yasmins Zimmer steht, damit sie zum hundertsten Mal ihre blöden Videos anschauen kann, und dass Asif und ich keinen haben, dabei sind wir älter. Und noch unfairer ist es, dass Yasmin ein eigenes Zimmer hat, aber das werde ich Mum nicht sagen, weil sie mich dann vielleicht zwingt, das Zimmer mit Yasmin zu teilen, und Asif ein eigenes Zimmer gibt, weil er ein Junge und der Älteste ist, und zu Yasmin will ich auf keinen Fall – ich glaube, ich wäre lieber TOT als mit der kleinen Miss Spock und ihrer widerlichen, ekligen Schneckenzucht in einem Zimmer.«
    Lila sah aus dem Fenster in den kleinen Garten hinaus und schrieb weiter: »Und es ist nicht fair, liebe Prinzessin Naomi, dass ich drinnen bleiben und mich langweilen muss, wenn andere Familien am Wochenende tolle Sachen machen. Leah fährt mit ihrer Familie zu einem beheizten Schwimmbad, wo es so Spritzdinger gibt und Wellen und eine Fontäne, aber wir gehen nie schwimmen, weil die kleine Miss Spock Schwimmen nicht mag. Und wir gehen auch nie Pizza oder Burger essen, denn jedes Mal, wenn wir’s versucht haben, macht die kleine Miss Spock Theater, und Mum wird sauer, und wir müssen alle wieder nach Hause zurück, manchmal, bevor wir überhaupt etwas gegessen haben. Und wir machen nie Geburtstagspartys, weil sich die kleine Miss Spock aufregt, wenn wer kommt, den sie nicht kennt, und wenn was umgeräumt wird. Und manchmal, liebe Prinzessin Naomi, aber das ist ein Riesengeheimnis und du darfst es NIEMANDEM verraten, nicht einmal Asif, manchmal wünschte ich mir, dass die kleine Miss Spock einfach wieder zu ihrem Heimatplaneten abhaut und uns in Ruhe lässt.« Lila war mit ihrem Tageseintrag zufrieden, obwohl er sich nicht sehr von den vielen anderen Einträgen unterschied. Sie holte ihre Filzstifte und malte auf der Seite gegenüber ein Bild: Yasmin, die auf einer Rakete zu einem fernen, von Ringen umgebenen Planeten wie dem Saturn düste, dazu sich selbst und Asif mit einem jungen Hund, einem Kätzchen, einem Kaninchen und einer Geburtstagstorte mit zwölf Kerzen, für ihren nächsten Geburtstag; und unten, in der linken Ecke, malte sie ein Schwimmbecken mit Fontäne, in dem sie selbst und Mum herumschwammen. Gewissenhaft benutzte sie für ihr Bild jede Farbe und strich dann noch klebrigen Glitzer als Wasser darauf. Dabei kleckerte sie etwas Glitzer auf ihren neuen Jeansrock mit den rosa Stoffblumen, und als sie versuchte, den Glitzer wegzuwischen, rieb sie ihn nur noch tiefer in den Stoff. Verzweifelt sah sie den Fleck an; wieder einmal hatte sie nicht genug aufgepasst, was der Grund war, warum ihr Mum normalerweise keine schönen Anziehsachen kaufte. Als das Bild trocken war, schloss Lila ihr Tagebuch mit dem Spezialschlüssel ab, den sie rührenderweise für völlig sicher hielt; ihr war nicht klar, dass man nur einen spitzen Gegenstand ins Schloss zu stecken brauchte, eine Büroklammer oder eine Nagelfeile, damit es wieder aufschnappte.
    Lila warf einen Blick auf die Uhr; seit sie bei Yasmin reingeschaut hatte, war kaum eine halbe Stunde vergangen. Noch zwei Stunden bis zum Mittagessen. Sie hörte ein merkwürdiges Rumpeln aus Yasmins Zimmer und machte ihre Tür wieder auf, weil sie wissen wollte, ob ihre Schwester den Fernseher doch noch eingeschaltet hatte. Stattdessen sah sie Yasmin als schlotterndes, bebendes Bündel am Boden liegen, die Augen so stark nach oben verdreht, dass nur das Weiße sichtbar war.
    »Yas«, sagte Lila, »spielst du?« Sie wusste, dass Yasmin nicht spielte, wusste nicht, warum sie fragte. Sie erkannte, was los war, denn es war schon ein paar Mal passiert: Yasmin hatte einen epileptischen Anfall wie damals, als sie drei war, und dann noch einmal zwei Jahre später. Bis vor Kurzem hatte sie Tabletten dagegen bekommen, die nun aber langsam abgesetzt wurden. Lila verschlug es die Sprache, sie blieb wie angewurzelt stehen und konnte nichts weiter tun, als hilflos zuzusehen, wie Yasmin sich vor ihr in den langflorigen Teppich presste und um sich schlug, als öffne sich im Boden ein Loch und sauge sie wie Treibsand nach unten. Yasmins Augen kippten wieder herunter und starrten auf Lila, ohne

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