Als ich lernte zu fliegen
ist sie bereits dem perfekten Mann begegnet. Er macht sich immer noch Sorgen um Lila und Yasmin, schiebt diese Sorgen aber in eine kleine Schachtel in seinem Hinterkopf, aus der er sie später, wenn er auf dem Heimweg mehr Zeit dafür hat, wieder hervorholen wird. Terry macht sich zum King’s Head auf, und Asif bittet ihn, auf dem Rückweg ein Sandwich für ihn mitzubringen; er versucht, weder flehentlich noch übertrieben dankbar für den Gefallen zu klingen. Natürlich vergisst Terry das Sandwich, und als das Team wieder im Büro eintrudelt, ist Asif schon halb verhungert. Also holt er sich zwei Tüten Kartoffelchips aus dem Automaten und bemüht sich sehr, die Tatsache zu übersehen, dass sie gelb sind.
Als sie böse war
An einem verregneten Samstagvormittag saß Lila zu Hause fest, ihre einzige Gesellschaft war Yasmin. Mum arbeitete unten mit einer Kollegin und hatte Lila gebeten, bis zum Mittag auf Yasmin aufzupassen. Asif war nicht da, er spielte samstagvormittags immer Fußball. Er war nicht sehr gut darin, Lila hatte ihn spielen sehen, aber er ging trotzdem hin, wahrscheinlich, um von zu Hause wegzukommen. Lila hätte gern ferngesehen, aber der einzige Fernseher auf der oberen Etage stand in Yasmins Zimmer, und Yasmin wollte ihn anscheinend nicht anhaben. Lila machte Yasmins Tür einen Spalt auf und sah sie am Boden sitzen, inmitten der Utensilien für ihr neuestes Hobby: Da lagen das Große Buch der britischen Flora und Fauna und alphabetisch geordnete, in Streichholzschachteln verstaute Beispielexemplare dazu. Auf leere Klopapier-Papprollen hatte sie tote Insekten gepinnt, lebende krochen in Plastikbehältern herum. Die achtjährige Yasmin schien nicht diese bei vielen übliche Abscheu vor Kriech- und Krabbeltieren zu besitzen, sondern schätzte es, dass diese klein waren und sich dadurch leicht sammeln und aufbewahren ließen. »Bäh!«, entfuhr es Lila, als Yasmin etwas Schleimiges aus einer Schachtel hervorholte, und als Yasmin nicht reagierte, sagte Lila noch einmal lauter: »Bäh!« Yasmin blickte schließlich auf, und Lila fragte eher neugierig als angewidert: »W as machst du denn mit den ekligen Dingern?«
»Das sind keine Dinger, sondern Nacktschnecken«, erklärte Yasmin geduldig, als wäre Lila dumm und hätte keine Ahnung. »Ich füttere sie. Heute bekommen sie nur rote Sachen zu fressen, und ich beobachte, was mit ihnen passiert.«
»Ich weiß, dass das Nacktschnecken sind, und die sind total eklig!«, sagte Lila. »Die gehören in den Garten, nicht ins Zimmer. Was ist, wenn sie ausbrechen?«
»W enn sie ausbrechen, kriechen sie wahrscheinlich die Wände hoch, weil die Wände glatt sind. Den Teppich würden sie nicht so mögen, weil der Flor kratzig ist und sie nicht weit darauf kommen würden«, beantwortete Yasmin die Frage, wie üblich völlig am springenden Punkt vorbei.
»Ich habe gemeint, es wäre nicht besonders toll für uns andere hier, wenn die Schnecken im ganzen Haus rumkriechen«, sagte Lila. »Hör mal, Yas, kann ich bitte fernsehen? Ich verpasse Superhero , weil Mum will, dass ich hier oben bei dir bleibe.« Lila fragte ohne große Hoffnung, denn Yasmin mochte zwar Superhero , aber nicht am Samstag.
»Nein, danke«, sagte Yasmin, drehte Lila den Rücken zu und fütterte ihre Schnecken weiter.
»Ich habe gefragt, ob ich bitte fernsehen kann«, wiederholte Lila. »Du brauchst ja nicht mitzugucken.«
»Nein, danke, ich habe gesagt, ich mag’s nicht sehen«, sagte Yasmin. »Lila, könntest du bitte die Tür zumachen? Du störst mich, und ich bin beschäftigt.«
»Du bist immer mit irgendwelchen blöden Sachen beschäftigt«, knurrte Lila, aber das war keine Frage, und deshalb gab Yasmin keine Antwort. Lila machte die Tür zu und kehrte in ihr Zimmer zurück, das sie mit Asif teilte. Sie schmollte. »Mir ist sooo langweilig«, sagte sie zu den Popstar-Postern, mit denen die Wände gepflastert waren, zur Schwesternschaft ihrer paillettenglitzernden Barbies, zu Asifs Mini-Monstertrucks und Transformern. Sie schrieb in ihr Tagebuch: »Liebes Tagebuch, von jetzt an nenne ich dich Prinzessin Naomi Mondschein Regenbogen, weil Tagebuch ein blöder Name ist und sooo langweilig. Ich schreibe, um dir zu sagen, dass ich es absolut und total unfair finde, dass Yasmin in ihrem Zimmer eklige Nacktschnecken halten darf und ich keinen Hund, kein Kätzchen, kein Kaninchen haben darf, nicht mal einen Hamster, den ich im Käfig halten könnte, oder einen
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