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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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Ich hoffe es!

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    14
Andere Welten
    W enn ich vergessen musste, konnte ich immer die Freiheit wählen. Wie verzweifelt ich auch sein mochte, es gab stets einen Ort, von dem ich wusste, dass ich mich dort fallen lassen konnte: meine Fantasie.
    Einst war ich ein Piratenjunge, der sich auf ein feindliches Schiff stahl, um das Gold zurückzuerobern, das man meinem Vater gestohlen hatte. Ich hörte Gelächter, als ich eine Strickleiter hinaufkletterte und geräuschlos an Deck sprang. Hoch über mir saß ein Pirat im Krähennest und schaute durch ein Teleskop aufs weite Meer – er wusste nicht, dass gerade ein Feind direkt unter seiner Nase an Bord kroch. Am anderen Ende des Decks konnte ich eine Gruppe Piraten dicht zusammengedrängt sitzen sehen. Sie beugten sich über eine Karte, ließen eine Flasche Rum reihum gehen und lachten, während sie berieten, welches Schiff sie als nächstes angreifen wollten und wessen Gold sie diesmal stehlen würden.
    Ich leckte meinen Zeigefinger an und hielt ihn in die Luft, um zu sehen, aus welcher Richtung der Wind kam. Ich musste sicherstellen, dass die Piraten mich nicht entdecken konnten, denn sie fesselten ihre Gefangenen und überließen sie den Vögeln, die ihnen die Augen aushackten, bevor sie gezwungen wurden, über Bord zu gehen. Ich legte mich flach auf den Boden und robbte mich mit den Ellbogen vorwärts, glitt leise weiter, wobei ich meinen Entersäbel an meiner Seite wusste, falls ich ihn brauchen sollte. Ich war bereit, jedem Piraten den Kopf abzuschlagen, der mir zu nahe kam, doch sie waren alle viel zu sehr damit beschäftigt, auf die Karte zu starren, als dass sie mich bemerkt hätten. Lautlos stieg ich die Treppe ins Innere des Schiffs hinab. Ich musste die Kabine des Piratenkönigs finden, denn dort befand sich bestimmt das Gold meines Vaters.
    Ich kam zu einer Tür und stieß sie auf. Der Piratenkönig saß schlafend in einem Sessel, aber er war so groß, dass er mit dem Kopf bestimmt die Decke berührt hätte, wenn er aufgestanden wäre. Er hatte einen langen schwarzen Bart, und eine Augenklappe verdeckte sein rechtes Auge, und er trug einen Kapitänshut. Vor ihm stand eine Kiste, gefüllt mit Juwelen und Geld, wertvollen Steinen und Trinkgefäßen. Ich schlich darauf zu, während ich mir den Schatz genauer anschaute. Da sah ich ihn – den braunen Lederbeutel, in dem sich das Gold meines Vaters befand. Er war halb verdeckt von einem Haufen Münzen, und ich zog vorsichtig daran, holte ihn behutsam Millimeter für Millimeter hervor, um bloß kein Geräusch zu machen, bevor ich ihn sicher in Händen hielt.
    Ich hätte wieder so leise verschwinden können, wie ich gekommen war, doch ich tat es nicht.
    Ich ging um den Tisch herum, an dem der Piratenkönig saß. Seine Nase war groß und rot, und über seine Wange zog sich eine breite Narbe. Neben ihm saß ein Papagei mit blauem, grünem und gelbem Gefieder auf einer Stange. Ich gab ihm etwas Brot aus meiner Tasche, um ihn ruhig zu halten, dann beugte ich mich vor und schnappte mir den Hut des Piratenkönigs, wobei ich zu lachen begann. Er öffnete sein heiles Auge und sah mich. » AAAAAAAAAAAAAAAARGH !«, brüllte er, und ich lachte ihn nur noch heftiger aus.
    Er sprang auf und zog sein Schwert, doch ich war zu schnell für ihn. Ich stülpte mir den Hut auf den Kopf, rannte zur Tür und knallte sie hinter mir zu. Ich hörte das Geräusch von splitterndem Holz, als der Piratenkönig mit seinem Fuß gegen die Tür trat und darin stecken blieb. »Ha!«, triumphierte ich innerlich. Jetzt würde er mich nicht verfolgen können.
    »Dieb!«, brüllte er.
    Ich zückte meinen Entersäbel und hielt ihn gestreckt vor mich hin. Er bestand aus Silber und glänzte dermaßen, dass die Sonnenstrahlen zurückgeworfen wurden, während ich aufs Deck rannte. Die Piraten warteten bereits auf mich, doch ich drehte den Säbel so, dass das Licht sie blendete, als es von der Klinge widergespiegelt wurde. Sie sanken schreiend auf die Knie und schützten ihre Augen vor dem gleißenden Licht, und ich lief zur Reling, während einer der Piraten mich zu verfolgen versuchte. Ich hörte sein Schwert durch die Luft schwirren, spürte seine Nähe. Er wollte mich als Beute für die Vögel.
    Ich wirbelte herum, und mein Entersäbel prallte auf Metall. Dem Piraten wurde das Schwert aus der Hand geschlagen, es fiel zu Boden, und ich sprang auf die Takelage, mit dem Gold meines Vaters in der anderen Hand. Ich war der Piratenjunge. Ich konnte laufen und

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