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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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Computers, und ich drückte zum letzten Mal auf den Schalter.
    »Hallo, Kim!«, sagte meine geisterhafte Computerstimme. »Fröhliche Weihnachten!«
    Für einen Moment herrschte Stille, dann begann meine Schwester zu sprechen, und aus einer Entfernung von ungefähr zehntausend Kilometern hörte ich die Freude in ihrer Stimme. In diesem Moment wusste ich, dass der Geisterjunge doch ins Leben zurückkehrte.

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    13
Meine Mutter
    F rustration macht sich im Gesicht meiner Mutter breit, als sie mich anstarrt. Diesen Blick kenne ich gut. Manchmal werden ihre Züge so starr, dass ihre Miene beinahe einfriert. Wir arbeiten zusammen am Computer und versuchen, meinem wachsenden Vokabular neue Wörter hinzuzufügen. Es ist August 2002, ein Jahr nach dem ersten Test, und seit ungefähr sechs Monaten lernen wir den Umgang mit meinem Computersystem. Nachdem ich schließlich entschieden hatte, welche Software ich haben wollte, brachte Kim diese aus England mit, als sie uns besuchte, und inzwischen habe ich sogar meinen eigenen Laptop. Mam nahm mich mit in die Stadt und kaufte mir einen.
    »Diese hier sind alle zu alt«, sagte sie zielstrebig zu dem Verkäufer, während sie die Displays der Laptops begutachtete, die wie Grabsteine in dem Computerladen aufgereiht waren. »Ich will den neuesten, den Sie haben, das Spitzenangebot, bitte. Er muss schnell und leistungsfähig sein. Mein Sohn darf keine Probleme damit haben.«
    Wieder einmal konnte ich beobachten, wie sie für mich kämpfte. Im Laufe der Jahre hatte ich ihre bestimmte, aber höfliche Art oft genug bewundert. Bei Ärzten hatte ich erlebt, wie sie hartnäckig blieb, wenn ihr gesagt wurde, mir fehle nichts. Dann verlangte sie eine neue Untersuchung, und von anderen Doktoren, die mich ans Ende der Warteliste setzen wollten, ließ sie sich nicht abwimmeln. Jetzt sorgte sie dafür, dass ich den besten Laptop bekam, den der Laden zu bieten hatte.
    Anfangs traute ich mich kaum, das gute Stück zu berühren und starrte es nur an, wenn Dad, Mam oder David es anschalteten. Ehrfürchtig lauschte ich der Musik, die erklang, sobald der schwarze Bildschirm zum Leben erwachte, und ich fragte mich, wie ich jemals lernen sollte, dieses seltsame Gerät zu beherrschen, wo ich doch noch nicht einmal etwas mit der Tastatur anfangen konnte. Vielleicht waren die Buchstaben ja nur eine andere Art von Symbolen, doch im Gegensatz zu den Bildern, für die ich in den letzten Monaten viel Zeit gebraucht hatte, um sie zu lernen, wusste ich jetzt nicht einmal, wie ich sie lesen sollte.
    So wie man die Wörter beim Sprechen ganz selbstverständlich wählt, muss ich jetzt das aussuchen, was meine neue Computer-›Stimme‹ sagen soll, indem ich Wörter aus Vokabel-Gittern oder -Seiten selektiere. Bei meiner Software war sehr wenig vorprogrammiert, als ich sie erhielt, daher müssen meine Mutter und ich jetzt jedes einzelne Wort, das ich haben will, in mein Vokabular eingeben und dem entsprechenden Symbol zuordnen. Danach bin ich dann in der Lage, mithilfe meiner Schalter die Wörter auf dem Bildschirm zu bewegen und zu wählen, was ich sagen will, bevor der Computer es in gesprochene Wörter umsetzt.
    Heute arbeiten meine Mutter und ich an Wörtern, die die Farben betreffen, und sie hilft mir dabei, wie sie es schon in meiner Kindheit getan hat, eine neue Sprache zu lernen. Mam hat ihren Job als Röntgenassistentin aufgegeben, um mich intensiv zu unterrichten, und wir können jeden Tag mehrere Stunden büffeln, da sie mich schon um 14.00 Uhr aus dem Pflegeheim abholt. Wenn wir zu Hause sind, arbeiten wir ungefähr vier Stunden an der Erstellung von Gittern, danach übe ich, indem ich diese alleine benutze.
    Ich weiß, dass sie von der Geschwindigkeit, mit der ich lerne, überrascht wurde. Anfangs musste sie sich selbst erst einmal erarbeiten, wie sie die Software nutzen konnte, bevor sie es mir zeigte. Doch nach einiger Zeit hat sie gesehen, dass ich jede Aufgabe, die sie mir stellt, ausführen kann, und sie traut mir zu, noch mehr zu leisten. Daher liest Mam mir jetzt die Computermanuals vor, statt sich hinzusetzen und sie alleine zu studieren, und ich präge mir alles ein, was sie sagt, sodass wir gemeinsam lernen können. Mittlerweile scheine ich die Anleitungen besser zu verstehen als sie, und es kommt vor, dass ich warten muss, bis sie ihren Fehler erkannt hat. Doch es gibt keinen Weg, es ihr zu sagen, da sich meine Kommunikation trotz aller Fortschritte immer noch auf den Gebrauch der einfachsten

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