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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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bestimmt nicht ausführen, wenn er sie nicht gerne hätte?
    »Jetzt ist aber alles paletti«, sagt Virna lächelnd. »Gestern Abend haben sie sich ausgesprochen, und er hat Kim gestanden, dass er sie toll findet. Sie ist unheimlich glücklich.«
    Plötzlich überkommt mich das Bedürfnis, Virna zu sagen, was ich fühle. Sie hat mir von Kim und deren neuem Freund erzählt. Ich möchte dasselbe wie die beiden haben. Ich muss es Virna mitteilen, denn ich bin sicher, sie will es auch.
    Ich hebe meine Hand und beobachte, wie sie planlos in der Luft herumrudert. Sie flattert unschlüssig zwischen uns, doch ich lächle Virna an. Noch nie zuvor habe ich irgendjemandem irgendetwas wie dies gesagt, habe mir auch nie vorzustellen gewagt, dass es jemandem möglich sein könnte, mich zu lieben. Doch bestimmt ist es das jetzt, wo ich kommunizieren lerne und den Leuten ein wenig von dem zeigen kann, wozu ich imstande bin, oder? Muss nicht gerade Virna in der Lage sein, über meinen geschundenen Körper hinwegzusehen?
    Noch einmal wedelt meine Hand in der Luft, dann fällt sie neben mich. Virna blickt mich schweigend an. Ihr Gesichtsausdruck ist fest und ernst. Was ist mit ihr? Sie ist so ruhig.
    »Gehst du davon aus, zwischen uns könnte etwas sein, Martin?«, fragt sie schließlich.
    Ich lache, bin nervös und glücklich, ängstlich und voller Hoffnung. Ich bin so sicher, dass sie genauso fühlt wie ich. Weshalb sonst sollte sie eine Freundin wie keine andere auf der Welt für mich sein? Weshalb sonst sollte sie mir helfen?
    Doch dann sehe ich Traurigkeit in Virnas Augen. »Es tut mir leid, Martin«, sagt sie.
    Die gesamte Fröhlichkeit, die sie noch vor wenigen Augenblicken ausstrahlte, als sie mir von Kim erzählte, ist plötzlich verschwunden. Ich möchte sie festhalten, doch sie ist dahin.
    »Wir können immer nur Freunde bleiben«, sagt Virna langsam. »Das musst du verstehen. Zwischen uns kann nie etwas sein, Martin. Es tut mir leid.«
    Mein Lachen versteinert, während ich ihr zuhöre.
    »Es tut mir ganz furchtbar leid, wenn du andere Gefühle hast«, sagt Virna mir. »Aber ich muss ehrlich zu dir sein und dir sagen, dass zwischen uns nie mehr als Freundschaft sein wird.«
    Plötzlich spüre ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust. So etwas habe ich noch nie erlebt, doch ich weiß, was es ist. In Filmen habe ich darüber reden gehört, und in Liedern wird es beschrieben. Jetzt verstehe ich, was es ist, auch wenn es mich niederschmettert: ein gebrochenes Herz.

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    17
Der Biss
    I ch saß auf der Toilette. Ich bin mir nicht sicher, weshalb. Ich muss ein Teenager gewesen sein, und vielleicht hatte Dad mich gerade gebadet. Weshalb auch immer, ich war nackt, und ich hatte genug von allem. Es war ein miserabler Tag gewesen – nicht, weil irgendetwas Furchtbares passiert war, sondern weil nie etwas passierte.
    Dad beugte sich zu mir hinunter und legte den Arm um mich. Ich spürte, wie seine Finger einen Pickel auf meinem Rücken berührten. Ich wollte nicht, dass er ihn berührt. Ich wollte, dass er mich in Ruhe, dass er mich alleine lässt. Ich starrte auf den Bauch meines Vaters, der auf gleicher Höhe mit meinen Augen war. Er war groß, rund und stramm. Sein Bart war nicht der einzige Grund, weshalb meine Mutter ihn oft ›Weihnachtsmann‹ nannte.
    Wut überkam mich, als ich auf Vaters Bauch schaute. Er beugte sich noch tiefer runter, und sein Bauch berührte meinen Mund, als seine Finger sich forschend in meinen Pickel gruben. Der Schmerz war so heftig, dass ich ihm zubrüllen wollte, er solle aufhören, dass ich seine Hände abschütteln und aus dem Raum stürzen wollte, wie es Kim und David taten, wenn sie gereizt waren. Wenigstens ein einziges Mal wollte ich in der Lage sein, selbst zu entscheiden, wer was mit mir macht, wann und wie. Ich wollte, dass mein Vater aufhörte, mich zu berühren, und mich in Ruhe ließ. Selbst ein Baby kann seine Zufriedenheit herausschreien, doch ich konnte nicht einmal das.
    Die Wut hatte meinen ganzen Körper erfasst, als ich meinen Mund so weit wie nur möglich aufriss und meine Zähne in den Bauch meines Vaters schlug.
    Total geschockt rang er nach Atem, wich einen Schritt zurück und starrte mich entgeistert an. »Das hat verdammt wehgetan!«, sagte er, während er sich seinen Wanst rieb.
    Erst hatte ich Schuldgefühle, doch dann war es nur noch Balsam für meine Seele.

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    18
Die Furien
    G äbe es in meiner Geschichte drei Furien, so hießen sie Frustration, Angst und

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