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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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war«, sagt Erica, als wir das Apartment betreten. »Die Musik war schaurig, findest du nicht?«
    Ich habe keine Ahnung, aber die Party war unvergesslich.

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    28
Henk und Arrietta
    D ie Liebe zwischen Männern und Frauen hat mich immer interessiert: Die Art und Weise, wie sie leise und behutsam kommt, zunimmt und schwindet oder sich in verstohlenen Blicken und qualvollen Auseinandersetzungen offenbart. Vielleicht fand ich sie deshalb so fesselnd, weil sie mich am stärksten daran erinnerte, wie einsam ich war.
    Es war kurz nachdem ich wieder zu Bewusstsein gekommen war, dass ich erstmals Liebe sah. Damals arbeitete eine Frau namens Arrietta halbtags bei uns im Pflegeheim, und ihr Sohn Herman war dort untergebracht. Arrietta hatte auch noch eine Tochter Anya, die ungefähr drei gewesen sein muss, und an besagtem Tag war sie bei uns im Pflegeheim, während wir darauf warteten, dass mein Vater mich abholte. Ich wusste, dass Arriettas Mann Henk bald kommen würde, um mit seiner Familie nach Hause zu fahren. Für mich stand wieder ein Nervenkitzel bevor, denn dann würde ich die Pistole an seiner Hüfte sehen können. Henk war Polizist, und obwohl ich es oft genug zu Gesicht bekam, konnte ich immer noch nicht glauben, das Glück zu haben, ein echtes Schießeisen aus der Nähe betrachten zu dürfen.
    Henk wusste, dass Arrietta bleiben musste, bis ich abgeholt wurde, als er mich auf einer Matte am Boden liegen sah. Ich beobachtete, wie er Arrietta küsste, bevor er sich an den Tisch setzte und die Zeitung aufschlug, wie er es immer tat. Herman und Anya spielten draußen auf der Veranda. Als Arrietta nach draußen ging, um nach den Kindern zu schauen, sah ich im Gegenlicht die Konturen ihrer Brüste durch den dünnen Stoff ihrer Bluse hindurchscheinen.
    »Ist der Tag gut gelaufen?«, fragte Henk Arrietta, als sie wieder zurückkam.
    »Lang war er«, erwiderte sie und begann ein paar Spielsachen aufzusammeln.
    Eine Minute herrschte Schweigen.
    »Auf dem Nachhauseweg müssen wir noch zum Supermarkt«, sagte Arrietta geistesabwesend. »Was möchtest du denn zum Nachtisch?«
    Henk schaute sie an. »Dich«, antwortete er, und seine Stimme war etwas tiefer als sonst.
    Wie konnte Henk Arrietta nur essen wollen? Ich wusste nicht, was er meinte.
    Sie unterbrach das Einsammeln des Spielzeugs, schaute ihn an und lachte leise. »Mal sehen, was sich ergibt«, sagte sie.
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben, als Henk und Arrietta sich anlächelten. Ich wusste, dass ich etwas für mich Neues sah: die geheime Welt der Erwachsenen, von der ich mit zunehmendem Alter ahnte, dass es sie gab. Ich bekam ja auch mit, dass mein Körper sich veränderte, als Rollstühle, die ich jahrelang benutzt hatte, langsam zu klein für mich wurden und ich regelmäßig rasiert wurde. Damals nahm ich flüchtig Dinge zwischen Erwachsenen wahr, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Sie machten mich neugierig.
    Jetzt lag in Henks und Arriettas Stimmen etwas Besonderes, sie waren weich, ebenso das Lächeln, das sie sich schenkten. Ich verstand nicht, was es war, doch die Atmosphäre zwischen ihnen schien in diesen kurzen Augenblicken zu knistern, als Henk seine Frau anschaute und diese lächelte. Dann blickten beide weg, und der Moment war vorüber.
    »Was ist mit ihnen?«, fragte Henk und zeigte auf den leeren Raum.
    Sie waren wieder ganz sie selbst, ebenso schnell, wie sie sich in eine Welt begeben hatten, die ich nicht kannte.
    »Wen meinst du?«
    »Die Kinder hier – ich komme jeden Tag hierher und weiß nichts über sie.«
    Arrietta setzte sich neben ihn und erzählte ihm von einigen der Kinder, die ich so gut kannte: Robby, der verletzt worden war, als der Wagen seines Vaters auf einen Lastwagen geprallt war, und der jetzt stundenlang weinte; Katie, die mit einem degenerativen Syndrom geboren wurde und so gerne aß, dass man ihr den Spitznamen ›kleine Fettnudel‹ gegeben hatte; Jennifer, die mit einem hühnereigroßen Gehirn zur Welt kam, nachdem ihre Mutter während der Schwangerschaft krank geworden war, und die jedes Mal vor Freude kreischte, wenn sie ihren Vater abends kommen sah; Elmo, Jurike, Thabo und Tiaan; Doorsie, Joseph, Jackie und Nadine, über die es alle eine Geschichte zu erzählen gab. Und dann waren da noch die Kinder, die so schnell kamen und gingen, dass ich nicht einmal ihre Namen behielt, wie das kleine Mädchen, das mit Lernschwierigkeiten geboren wurde und von einem Onkel vergewaltigt worden war, der

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