Als ich unsichtbar war
und ich im grauen Licht einer tristen Morgendämmerung aufwache.
Der Albtraum, der mich diesmal geweckt hat, unterscheidet sich nicht so sehr vom letzten. Sie unterscheiden sich so gut wie nie. Wären meine Träume nicht so furchterregend, wären sie schon fast langweilig vorhersehbar.
Sie stand vor mir und schaute auf mein Gesicht herab. Ich wusste, was sie gleich tun würde, und ich wollte sie wegstoßen, doch ich konnte es nicht. Meine Arme blieben wie immer leblos neben mir liegen, während sich ihr Gesicht dem meinen näherte. Ich spürte Angst und Panik und hätte so gerne um Gnade gefleht.
Dann wachte ich auf.
So geht es jetzt in den meisten Nächten. Wie sehr ich auch versuche, die Vergangenheit zu verdrängen, sie sickert in sämtliche Ritzen, und ich kann diese nicht füllen mit Gedanken über meine Arbeit oder häusliche Dinge, weder mit Listen von zu verrichtenden Aufgaben noch Sachen, die ich gerne erleben würde.
Was mich auslaugt, ist die Tatsache, dass ich nicht nur nachts heimgesucht werde. An jedem beliebigen Tag lauern mir tausend winzige Auslöser auf; es handelt sich um Dinge, die niemand anderes bemerken würde, mich hingegen führen sie direkt in die Vergangenheit: Ein paar Takte klassischer Musik in einem Einkaufszentrum, und ich befinde mich wieder in dem Heim auf dem Land, in dem ich wie ein Tier gefangen war und zu entkommen hoffte.
»Hier ist es so friedlich«, pflegte meine Mutter stets zu sagen, wenn sie mich dort ablieferte.
Wenn wir das Gebäude betraten, ertönten gewöhnlich die beruhigenden Klänge von Vivaldi oder Mozart irgendwoher aus einer Stereoanlage, und ich schaute zu meiner Mutter mit der flehentlichen Bitte, endlich zu begreifen, was diese Musik überspielen sollte.
Dies ist der Grund, weshalb ich durch die Musik augenblicklich in die Vergangenheit zurückgeschleudert werde. Oder ich sehe ein Auto, welches mich an jenes erinnert, das von einer Person gefahren wurde, die mich verletzte, und schon bin ich wieder mitten in dieser Situation: mit klopfendem Herzen, schweißkalter Haut und stockendem Atem.
Niemand scheint zu bemerken, wenn mir dies widerfährt. Habe ich wirklich gelernt, meine Gefühle derart zu kaschieren, dass ich selbst solch brutale Schrecken verbergen kann? Ich verstehe selbst nicht, wie das möglich ist, aber irgendwie gelingt es mir. Ich bin völlig auf mich allein gestellt, wenn ich mich wieder in die Gegenwart zurückversetzen möchte, indem ich mich zu erinnern zwinge, dass die Vergangenheit hinter mir liegt.
Jetzt bemühe ich mich, mein Herz zu beruhigen. Ich muss wieder einschlafen, so groß meine Angst auch sein mag, erneut in eine Welt geschickt zu werden, die ich mit aller Macht für immer vergessen will. Morgen möchte ich frisch und munter zur Arbeit erscheinen. Ich darf nicht zulassen, dass die Vergangenheit mir meine Zukunft vermasselt. Ich darf mich nicht von ihr herunterziehen lassen.
Ich schließe die Augen, sehe aber immer noch ihr Gesicht …
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27
Die Party
D as Mädchen steht schwankend vor mir. Es grinst und scheint etwas benommen zu sein.
»Du bist hübsch«, sagt es. »Ich werde mal etwas flirten mit dir.«
Musik dröhnt aus der Stereoanlage. Der Beat ist wie ein Hammer, und der Raum ist voller Studenten, die ich nicht kenne. Ich bin mit Erica und anderen Freunden namens David und Yvette, die ich durch sie kennengelernt habe, auf einer Party im Universitätsgelände.
Mir will immer noch nicht in den Kopf, dass ich hier bin. Das Thema der Party ist ›Dschungel‹, und ich bin als dessen König verkleidet, mit einer Krone aus Bananenblättern auf dem Kopf. Ich habe sogar zum ersten Mal Alkohol probiert, nachdem mich so viele Leute gefragt haben, ob ich etwas trinken wolle, dass ich Erica gebeten habe, mir eine Cola mit Rum zu holen.
»Na, wie ist es?«, fragte Erica lachend, nachdem ich einen Schluck genommen hatte.
Der Alkohol füllte meinen Mund, bevor er in der Nase prickelte. Er war stark und beißend. Ich mochte den Geschmack nicht. Halbherzig lächelte ich Erica zu, die einen Sarong trug und ihren flauschigen Spielzeugaffen Maurice um den Hals hängen hatte. Ich beugte meinen Kopf nach vorne, um das Glas auszutrinken. Ich wollte dieses Gebräu so schnell wie möglich aus dem Weg schaffen.
»Nur nippen!«, schrie Erica, bevor sie zu lachen begann.
Ich nahm einen weiteren Schluck und würgte ihn schnell hinunter.
»Soll ich dir eine Cola ohne Alkohol holen?«, fragte Erica.
Ich lächelte sie an, und sie
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