Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
Vom Netzwerk:
Sozialarbeiterin, wie Kim.«
    »Wie lange bist du schon in England?«
    »Sieben Jahre.«
    »Und gefällt es dir da?«
    »Ja. Ich muss zwar zu viel arbeiten, aber es macht mir Freude.«
    Sie lächelte, und wir beide begannen uns zu unterhalten. Es ging um nichts Besonderes. Wir erzählten uns, was wir Weihnachten gemacht hatten, welche Vorsätze wir für das neue Jahr gefasst hatten, welche Musik wir mochten und welche Filme wir uns anschauen wollten. Auch als sich Danielle vom Computer entfernte und wir uns weiter unterhielten, änderte sich unser Gespräch kaum. Joanna war wunderschön, und man konnte so zwanglos mit ihr chatten: Sie lachte und scherzte, achtete genau auf alles, was ich sagte, und stellte Fragen. Für mich war es ungewohnt, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich mich so locker unterhalten konnte, und zwei Stunden vergingen wie im Fluge.
    »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte ich widerwillig, als ich merkte, dass es schon nach Mitternacht war.
    »Warum denn?«, fragte Joanna. »Macht dir das Gespräch keinen Spaß?«
    Nur zu gerne hätte ich ihr gesagt, wie sehr ich es genoss.
    »Ich muss morgen früh raus«, sagte ich, weil ich ihr nicht verraten wollte, dass mich mein Vater ins Bett bringen musste und selbst schlafen gehen wollte, da es schon spät war.
    »Verstehe«, erwiderte Joanna. »Wollen wir über Facebook Kontakt halten, sodass wir uns noch ein bisschen mehr unterhalten können?«
    »Ja. Das sollten wir bald tun.«
    Wir verabschiedeten uns, und ich war total aufgeregt, als ich den Computer herunterfuhr und mich mit Kojak nach draußen begab, um ihn noch einmal auf die Straße zu lassen. Joanna war so freundlich. Sie schien Interesse an mir zu haben und wollte weiter mit mir reden.
    Doch dann holte mich die Realität wieder ein. Kurz vor Weihnachten hatte ich eine Frau kennengelernt, die ich sehr mochte, und ich hatte mich ungeheuer gefreut, als sie mich ins Theater einlud. Dort tauchte sie dann mit ihrem Freund auf, und ich fühlte mich wie ein erbärmlicher Hund, dem man gerade einen Tritt verpasst hatte. Wie konnte ich es nur zulassen, mich jetzt schon wieder so zu begeistern? Ich hatte doch ein ums andere Mal den Beweis bekommen, dass ich nicht die Art von Mann war, in die sich Frauen verliebten, und ich war doch auch schon oft genug zurückgewiesen worden. Wenn Joanna nur eine Freundschaft mit mir wollte – wie alle anderen Frauen, die ich kennengelernt hatte –, dann musste ich mich eben damit zufriedengeben.
    Als ich ins Haus zurückkam und zu Bett gebracht worden war, schwor ich mir, einfach alles zu vergessen, was geschehen war. Joanna war weit entfernt von mir, und dabei sollte es auch bleiben!
    Dann kam eine E-Mail: »Hallo Martin«, schrieb Joanna. »Ich habe auf eine Nachricht von dir gewartet, aber es ist nichts gekommen. Deshalb dachte ich, ich sollte dir vielleicht mal schreiben. Ich fand es sehr schön, mich mit dir zu unterhalten. Melde dich doch bei mir, wenn du noch etwas mit mir chatten willst.«
    Was sollte ich tun? Einer solchen Verlockung konnte doch kein Mann widerstehen.

----
    45
Mickey Maus treffen?
    I ch muss dich etwas fragen«, sagt Joanna, während ich ihr Gesicht auf dem Bildschirm betrachte.
    Es ist Mitte Februar, und wir sind ständig in Kontakt geblieben, seit wir uns kennengelernt haben. Eine Woche lang schickten wir uns gegenseitig höfliche E-Mails und tasteten uns nur ganz vorsichtig voran, wie Badende, die das Wasser zuerst nur mit den Zehenspitzen berühren, bevor sie sich entschließen, hineinzuspringen. Doch schon bald gaben wir unsere Zurückhaltung auf und unterhielten uns jeden Abend über Internet. Es war immer genauso ungezwungen wie zu Beginn, und manchmal chatteten wir online noch bis Tagesanbruch und hatten uns immer noch etwas zu sagen.
    Ich wusste gar nicht, dass man mit einem anderen Menschen dermaßen ungezwungen umgehen und dass ein Gespräch mit einer Frau so natürlich sein konnte wie mit Joanna. Ich möchte alles über sie erfahren, und die Worte sprudeln nur so aus uns heraus, wenn wir über unser beider Leben berichten und was sich darin ereignet hat – über kleine, unbedeutende Details wie Lieder, die wir gerne hören, bis hin zu den einschneidendsten Ereignissen während meiner Zeit als Geisterjunge und dem Tod von Joannas Vater, den sie vergöttert hatte. Es ist, als gebe es nichts, das ich nicht äußern könnte, denn Joanna hört mir in einer Art zu, wie ich es bisher noch nie erlebt habe: Sie ist interessiert, witzig

Weitere Kostenlose Bücher