Als ich unsichtbar war
und sensibel, positiv, neugierig und verträumt wie ich. Wir unterhalten uns über die unwichtigen Einzelheiten unseres Tagesablaufs und unsere Hoffnungen für die Zukunft, wir scherzen miteinander und lachen, und wir reden ernsthafter über unsere innersten Gefühle, als ich es je zuvor getan habe. Es gibt nichts zu verbergen.
Ich spüre, dass ich ihr vertrauen kann. Mit jedem neuen Lächeln gerät mein Entschluss, nüchtern mit meinen Gefühlen umzugehen, stärker ins Wanken, und die Vernunft geht über Bord, wenn ich merke, wie ich immer tiefer in diese bislang unbekannte Welt eintauche. Joanna ist einunddreißig, ein Jahr älter als ich. Wie meine Schwester Kim ist sie Sozialarbeiterin und lebt in der Nähe von Essex. Doch die Verbindung zu Kim ist nur die letzte in einer langen Kette von Beinahe-Begegnungen, die sich im Laufe der Jahre ergeben hatten. Joanna und ich stellten fest, dass wir als Schulkinder bei denselben regionalen Sportveranstaltungen waren, und als Studentin hat sie sogar mein Pflegeheim besucht. Wir sind so oft kurz vor einem Zusammentreffen gewesen, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein schien, wann wir uns wirklich begegnen würden. Wenn ich an Schicksal glauben würde, wäre ich überzeugt, dass unsere Begegnung vorbestimmt war.
Joanna wirkt ein wenig nervös, als sie den Mund öffnet und zu sprechen beginnt, und ich lächle in mich hinein. Schon nach so kurzer Zeit kenne ich ihr Mienenspiel gut genug, um zu wissen, ob sie müde oder glücklich, ungehalten oder verzweifelt ist. Während unserer Gespräche habe ich Stunde um Stunde damit verbracht, sie zu beobachten, und dabei habe ich festgestellt, dass ihr Gesicht nicht wie bei anderen eine Maske ist – vielmehr spiegelt sich dort jede Emotion wider, wenn ich nur genau genug hinschaue.
»Ich mache Ende dieses Monats Urlaub und besuche Disney World«, sagt sie hastig. »Und ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht, deshalb frage ich dich jetzt ganz direkt: Kommst du mit? Ich weiß, dass es etwas plötzlich kommt, aber irgendwie kommt es auch genau richtig.«
Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. Jede Silbe aus ihrem Mund macht mich glückseliger.
»Ich weiß, du hast noch keinen Langstreckenflug gemacht, aber ich bin sicher, dass wir eine Fluggesellschaft finden, die dich mitnimmt«, sagt sie. »Ich habe mich nach Tickets erkundigt, und es sind noch Plätze frei. Ich habe zwei Wochen Zeit, aber du kannst so lange bleiben, wie du willst. Ich habe bei dem Hotel nachgefragt, in dem ich gebucht habe, und mein Zimmer hat zwei Betten, wir können es uns also teilen. Denk bitte darüber nach, was ich dir gesagt habe. Sag nicht vorschnell ›Nein‹. Ich möchte dich treffen, und ich glaube, du willst es auch. Mach dir bitte wegen des Geldes keine Gedanken, und mach dir auch keine Sorgen über die Arbeit. Ich verstehe, dass du vielleicht meinst, du könntest nicht alles liegen und stehen lassen, aber manchmal im Leben muss man es einfach tun, glaubst du nicht?«
Meine Hand stoppt über der Tastatur. Was mich fast am meisten überrascht, ist die Tatsache, dass ich weder ängstlich noch unsicher bin. Ich bin überwältigt und ekstatisch, kein bisschen besorgt. Sie möchte mich treffen! Ich brauche nicht zu überlegen, ob ich die Reise antreten will. Mehr als ich mir je etwas im Leben gewünscht habe, möchte ich jetzt Joanna treffen. Doch während ich noch zögere, wie ich es ihr sagen soll, wird mir klar, dass Worte dazu nicht ausreichen.
»Ich komme sehr gerne«, tippe ich. »Wirklich!«
»Wirklich?«
Sie lacht und erwartet, dass ich noch mehr sage, doch ich kann es nicht. In meinem Kopf schwirrt es, während ich sie auf dem Bildschirm vor mir anschaue.
»Ich weiß, dass du etwas Hilfe brauchst, und mir macht es nichts aus, die zu leisten«, sagt sie. »Wir haben jetzt die einmalige Gelegenheit, uns zu sehen, und die sollten wir beim Schopfe packen!«
Sie kichert. Ich liebe es, wenn sie lacht.
»Weshalb möchtest du mich treffen?«, frage ich.
Ich muss das fragen. Die Frage ist mir die ganze Zeit durch den Kopf gegangen, seit sie mich aufgefordert hat, Teil dieses verrückten Plans zu werden.
Für einen Moment schweigt sie. »Weil du der aufrichtigste Mann bist, dem ich je begegnet bin«, sagt sie dann. »Und weil du mich, obwohl wir uns erst seit ein paar Wochen kennen, richtig glücklich gemacht hast. Du bringst mich zum Lachen, du bist interessant, und du verstehst mich auf eine Weise, wie ich es bislang noch bei
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