Als ich unsichtbar war
mit erwartungsvoller Miene in kleinen Familiengruppen zusammen. Dutzende Augenpaare huschen über mich hinweg, bis die Leute erkannt haben, dass ich nicht derjenige bin, den zu sehen sie gehofft hatten. Schilder werden wieder gesenkt, und Blicke wenden sich ab, um auf Neuankömmlinge zu warten. Ich schaue mich um, betrachte die Gesichter und werde langsam nervös, weil es vielleicht einen Fehler gegeben hat und Joanna möglicherweise gar nicht gekommen ist, um mich zu begrüßen. Was soll ich dann machen?
»Martin?«
Ich wende den Kopf. Sie ist da! Ich kann kaum atmen. Sie ist noch hübscher, als ich es für möglich gehalten hatte. Sie lacht und beugt sich zu mir herunter.
»Hallo, mein Liefie«, sagt sie auf Afrikaans. »Mein Liebster.«
Für einen Moment fühle ich mich unbehaglich, dann schließen wir uns in die Arme. Und als ich sie zum ersten Mal an mich drücke, merke ich, dass sie nach Bonbon und Blumen duftet. Ich weiß, dass ich sie nie mehr loslassen werde.
Ich bin zu Hause.
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54
Zusammen
I ch bin trunken, berauscht von allem, was für mich zum ersten Mal geschieht: Sie lächeln zu sehen, wenn sie zu mir hochschaut, während ich ihr gegenübersitze; mich in ihrem Kuss zu verlieren; zu beobachten, wie sie in einem Restaurant die Augenbrauen zusammenkneift, als sie zu entscheiden versucht, welches Menü sie gerne essen würde; oder wenn wir im strömenden Regen zusammen unter einer Weißbuche sitzen.
»Mein Liefie«, sagt sie ein ums andere Mal, als müsse sie sich selbst davon überzeugen, dass ich wahrhaftig hier bin.
Wir sind nach Schottland gefahren, nachdem wir ein paar Tage in Joannas Wohnung verbracht haben, wo wir zusammen mit Kim und einigen Freunden ihren Geburtstag feierten. Doch jetzt sind wir ganz allein, und wir haben kaum etwas von den sanften Hügeln und dem Himmel gesehen, der sich draußen vor unserem Cottage abwechselnd bedrohlich dunkel und strahlend blau präsentiert. Stattdessen bleiben wir im Haus, sitzen oder liegen Seite an Seite, immer miteinander verbunden, Hand in Hand, Schulter an Schulter oder ein Bein lässig über den Schoß des anderen gelegt. Nach all den Wochen der Sehnsucht halten wir es nicht aus, auch nur für einen Moment voneinander getrennt zu sein.
Mein Alphabet habe ich kaum benutzt. Stattdessen zeichne ich ihr mit dem Finger Buchstaben auf die Haut, Wörter, die sie auf ihrer Körperoberfläche verfolgen und lesen kann. Meist sind sie ziemlich überflüssig. Wir haben genug gesagt nach all den Monaten des Redens, und oft brauchen wir gar keine Worte, denn Joanna versteht auch so vieles, indem sie einfach in meinem Gesicht liest. Eine Bewegung mit der Augenbraue oder ein Blick genügen meist, um eine ihrer praktischen Fragen zu beantworten. Auch wenn ich mir vor meiner Ankunft flüchtig Gedanken darüber gemacht hatte, ob wir höflich stammeln würden, sobald wir nicht mehr wüssten, was wir sagen sollten, oder aus Unsicherheit versuchen würden, uns gegenseitig mit irgendwelchen Blödeleien zu unterhalten, so war das vollkommen überflüssig. Ab dem Moment unserer Begegnung auf dem Flughafen haben wir uns förmlich gegenseitig aufgesogen, und wir waren völlig sorgenfrei und zufrieden durch die Gegenwart des anderen.
Noch nie bin ich einer Person begegnet, die mich so vorbehaltlos akzeptiert und dermaßen großen Frieden in sich trägt. Joanna ist nicht der Mensch, der die Pausen zwischen uns mit sinnlosem Geschwätz füllt. Stattdessen treiben wir auf einem Strom genügsamen Beisammenseins dahin, und es gibt Augenblicke, in denen ich vor Überraschung fast zusammenzucke, wenn sie mich berührt: Die Finger biegen sich beim Streicheln meiner Hand, oder meine Wange zittert unter einem Kuss auf meine Augen. Es ist, als könne mein Körper ihre Sanftheit gar nicht glauben. Ich hatte ja bisher auch noch niemanden, der Freude an mir empfunden hat. Es ist das einfachste und zugleich tollste aller Gefühle.
Wir sind Kartografen der Haut des jeweils anderen, folgen mit unseren Fingerspitzen den Linien der Wangenknochen, des Kinns und der Hände, vermitteln uns Stunde um Stunde unsere Empfindungen füreinander. Ihre Hände passen genau in meine, und ich streichle die Narbe, die entstand, als sie als Kind mit ihrer Hand im Hühnerstall hängen blieb. Ich war mir nicht bewusst, dass Liebe meine sämtlichen Sinne durchdringen würde: Jeder Teil von mir ist auf sie eingestellt, wenn ich sie lachen sehe, ihren Duft einatme, ihre Stimme höre, ihre Küsse schmecke
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