Als ich unsichtbar war
wellenförmig in der Hitze über der Düne, und ich sehe, wie Leute von oben zurücklaufen, nachdem sie die Spitze erreicht haben. Sie lachen und kreischen, als sie nach dem langen Aufstieg hinuntersausen.
»Wie sollen wir das anstellen?«, fragt mein Bruder zweifelnd.
Ich bin mir auch nicht sicher. David hilft mir beim Aufstehen, bevor ich mich im Sand auf die Knie fallen lasse. Ich kann nicht kriechen, deswegen zieht mich mein Bruder, während ich ihn zu unterstützen versuche, indem ich meinen anderen Arm in den Sand grabe und versuche, mich vorwärtszurobben. Langsam beginnen wir uns die Düne hinaufzubewegen, und die Leute, die sich auf dem Rückweg befinden, starren uns überrascht an. Es ist schon fast Mittag, im Grunde viel zu spät, um Derartiges zu unternehmen. Der Sand ist mittlerweile so warm und weich, dass er immer wieder wegrutscht, und ich muss mich selbst ausgraben, bevor es weiter nach oben geht. Wir hätten in der Morgendämmerung kommen sollen, als der Sand noch kühler und fester war.
Die Sonne knallt vom Himmel, während David mich weiter nach oben schleift. Wir schwitzen beide und klettern höher und höher, ich robbend, David an mir zerrend. Die Düne wird steiler, je näher wir dem Gipfel kommen.
»Willst du wirklich bis ganz nach oben?«, fragt David, als wir eine Pause machen.
Er starrt zur Spitze, und mein Blick folgt seinem. Ich muss zum Gipfel! Wie ein Stammesangehöriger von Ureinwohnern, der in gutem Glauben seinen Regentanz macht, muss ich den Himmel überzeugen, mir seinen Segen zu schicken und mich Joanna beweisen lassen, dass es kein Hindernis gibt, das ich für sie nicht bezwingen kann – selbst meinen eigenen Körper. Dies soll der endgültige Beweis sein, dass sie jetzt ein Teil von mir ist, und ich muss ihr zeigen, dass sie mehr aus mir herausholt, als ich mir selbst jemals zugetraut hätte.
David stöhnt verzweifelt auf, als ich ihm zulächle, und dann beginnen wir wieder vorwärtszukriechen, Meter für Meter. Sand klebt uns in den Haaren, im Mund und in den Augen, und das von der Düne reflektierte gleißende Licht blendet uns.
»Nicht aufgeben!«, meldet sich eine Stimme. »Du hast es fast geschafft!«
Ich schaue nach unten. Kim kommt heraufgelaufen, um sich uns anzuschließen. Ganz weit unten sehe ich unsere Eltern neben dem Auto stehen und zu uns dreien heraufstarren. Sie winken mir zu.
»Also los!«, sagt David.
Wir sind jetzt ungefähr eine Dreiviertelstunde unterwegs, und die Leute, die gleichzeitig mit uns aufgebrochen sind, sind schon längst wieder nach unten zurückgekehrt. Uns steht noch ein letzter Kraftakt bevor, dann haben wir den Gipfel erreicht. Es ist fast geschafft. Ich denke noch einmal an Joanna, dann grabe ich mich in den Sand und schlängele mich vorwärts. Stück für Stück robbe ich mich in Richtung Gipfel. Der Himmel über mir ist azurblau, und mein Mund ist staubtrocken. Mein Herz rast vor Aufregung, und ich höre David keuchen, als er zum letzten Mal an mir zerrt. Plötzlich ist alles vorbei.
Wir haben die Spitze der Sanddüne erklommen, und Kim setzt sich neben mich. Niemand spricht ein Wort, während wir nach Atem ringen. Unter uns breitet sich die Wüste wie ein endloses Meer aus. Kim beugt sich zu mir herüber. In der Hand hält sie eine Glasflasche. Ich schaue zu, wie sie sie öffnet. Sie reicht sie mir, und ich schiebe sie in den Sand.
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Das Ticket
I st es Ärger oder Frustration, was da so bitter in mir aufsteigt, während ich auf den Bildschirm des Computers starre? Es sind noch zehn Tage bis zu meinem Flug nach England, und ich sitze an meinem Arbeitsplatz. Soeben habe ich eine E-Mail des Reisebüros erhalten, das ich um ein Preisangebot für Flüge nach Kanada gebeten hatte. In drei Monaten soll ich dort an einem Kongress teilnehmen, und ich habe Joanna gefragt, ob sie mich dorthin begleiten würde, statt meiner Eltern, die mir in der Vergangenheit immer geholfen haben. Der Mann vom Reisebüro möchte wissen, ob ich mit meiner Mutter oder meiner Freundin nach Kanada reisen will. Offenbar hat Mam das Gespräch angenommen, als er anrief, um mir ein paar Informationen durchzugeben, und bei dieser Gelegenheit hat sie ihm wohl gesagt, sie wolle die Flüge buchen. Ich weiß, was sie denkt.
»Kim hat eine Freundin, die jemanden über Internet kennengelernt hatte und glaubte, total in ihn verliebt zu sein«, erzählte Mam vor ein paar Tagen. »Aber dann hat sie sich mit dem Mann getroffen und stellte fest, dass sie nichts
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