Als ich vom Himmel fiel
hätte gesagt, wenn man sich im Urwald im Kongo verirrt, ist man rettungslos verloren. Das ist es, was mich an Journalisten oft so wütend macht.
Oder das zwölfjährige Mädchen, das in einer jemenitischen Maschine im Juli 2009 vor der komorischen Küste abstürzte und als Einzige überlebte. Sie konnte sich in den Wellen an ein Wrackteil klammern und musste die ganze Nacht im Meer ausharren, was ich mir schrecklich vorstelle. Viele Menschen sahen Parallelen zu meiner Geschichte, weil auch sie bei dem Unglück ihre Mutter verlor. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. »Was würden Sie diesem Mädchen für sein weiteres Leben raten?«, wurde ich gefragt. Da muss ich dann zugeben, dass ich trotz meines Schicksals ein ganz normaler Mensch bin und mich nicht berufen fühle, wildfremden Personen zu sagen, wie sie nun ihr Leben gestalten sollten, nur weil wir beide einen Flugzeugabsturz überlebten. Mich stört diese Art Fragen, denn ich finde, es steht einem Menschen nicht zu, einem anderen kluge Ratschläge zu erteilen. Man erlebt aber auch lustige Dinge. Zum Beispiel rief einmal ein Journalist von der »Süddeutschen Zeitung« an und bat um ein Interview. Er sagte am Telefon: »Sie bekommen auch eine lilafarbene Orchidee von mir geschenkt.«
»Das ist sehr nett von Ihnen«, gab ich zurück, »aber das müssen Sie nicht. Wie kommen Sie überhaupt auf so etwas?«
Da antwortete er: »Na, Sie mögen doch lila Orchideen so gern, das hab ich im Internet gelesen.«
Und wirklich: Eine junge Journalistin hatte mich an meinem Arbeitsplatz besucht, und da standen zufällig solche Pflanzen. In ihrem Artikel schrieb sie, ich würde mich hinter lila Orchideen und anderen Pflanzen regelrecht verschanzen. Manchmal staune ich geradezu über die Phantasie der Presseleute.
Hin und wieder gibt es auch Interviewanfragen, die sich um andere Themen drehen, zum Beispiel um die Zukunft von Panguana, was ich persönlich viel spannender finde. Doch meistens geht es immer nur um »das eine«. Fast alles in meinem Leben scheint mit dem Unfall zu tun zu haben, derart hat mich dieses Ereignis in bestimmte Bahnen gelenkt.
Mein Mann reißt mich aus meinen Gedanken.
»Hier«, sagt er und schaut auf seine Armbanduhr, »hier muss es passiert sein.«
Ich blicke hinab auf das Meer aus Baumkronen. Da unten irgendwo bin ich damals im Urwald gelandet. Hier habe ich elf Tage lang unbeirrbar meinen Weg gesucht, heraus aus der Wildnis. Immer wieder erfüllt es mich mit Staunen, dass ich noch auf der Welt bin. Wo doch alle anderen ihr Leben lassen musste n …
Als ich endlich halbwegs sicher auf meinen beiden Beinen stehe, sehe ich mich um. Da ist nichts außer meiner Sitzbank. Ich rufe. Keine Antwort. Ich blicke auf. Dort oben, jenseits der dichten Baumwipfel, scheint die Sonne. Das dichte grüne Dach des Urwalds ist völlig unversehrt. Wenn hier vor ein paar Stunden ein Flugzeug abstürzte, dann müsste es doch eine Schneise geschlagen haben! Aber davon ist weit und breit nichts zu sehen.
Ich stelle fest, ich habe nur noch einen Schuh an, eine weiße Sandale, hinten offen, vorne geschlossen, ich trug sie auch am Tag meiner Zeugnisübergabe. Diese Sandale behalte ich an, auch wenn später viele sagen werden, wie lächerlich das doch gewesen sei, und mich fragen werden, warum ich diese einzelne Sandale nicht weggeworfen habe, mit einem Schuh könne man doch nicht gut gehen. Aber ich behalte sie an, denn ohne Brille sehe ich nicht gut, und auf diese Weise ist wenigstens einer meiner Füße ein bisschen geschützt. In Panguana trugen wir immer Gummistiefel, wenn wir in den Wald gingen, wegen der Schlangen. Mein dünnes, mit buntem Patchworkmuster bedrucktes Minikleid, ärmellos und mit einem modischen doppelten Volant am Saum, ist auch nicht die ideale Expeditionsbekleidung, außerdem ist der lange Reißverschluss am Rücken ein Stück aufgeplatzt. Als ich da herumtaste, bemerke ich eine weitere Wunde am Oberarm, ganz hinten, wo es schwierig ist, hinzusehen. Sie hat die Größe eines Zehncentstücks und ist einige Zentimeter tief. Auch diese Wunde blutet nicht, ebenso wenig wie die an der Wade. Ich nehme meine offenen Wunden zur Kenntnis, aber sie machen mir keine Angst.
Viel später werden Ärzte feststellen, dass ich mir beim Sturz die Halswirbelsäule stauchte, und von dieser Verletzung habe ich bis heute regelmäßig wiederkehrende Kopfschmerzen zurückbehalten. Dies erklärt auch, warum ich mich derart lange wie in Watte gepackt
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