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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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fühlte, denn es sollte noch Tage dauern, bis das Gefühl der Benommenheit restlos wich.
    Plötzlich überfällt mich großer Durst. Auf den Blättern um mich perlen dicke Wassertropfen, die lecke ich auf. Ich ziehe kleine Kreise um die Sitzbank herum, mir ist sehr wohl bewusst, wie schnell man im Urwald die Orientierung verlieren kann. Alles sieht überall gleich aus, und ich wäre nicht die Erste, die sich nach wenigen Schritten hilflos verirrt. Zuhause in Panguana ging ich nie ohne eine Machete in den Wald, und wenn ich manchmal die von uns angelegten Beobachtungspfade verließ, schnitt ich in regelmäßigen Abständen Zeichen in die Baumrinden, wie es mich meine Eltern gelehrt hatten. Einmal ist es mir doch tatsächlich passiert, dass ich trotzdem eine Zeit lang die Orientierung verloren hatte und am Ende feststellte, dass ich im Kreis gegangen war. Darum bin ich auf der Hut; in Ermangelung eines Buschmessers präge ich mir einen besonders auffälligen Baum ein und lasse ihn nicht aus den Augen.
    Zunächst finde ich zu meinem grenzenlosen Erstaunen keine Spur von dem Unglück, nichts. Keine Trümmer, keine Menschen. Dann entdecke ich eine Tüte mit Bonbons und einen typisch peruanischen Weihnachtsstollen, einen Panetón, wie ihn italienische Einwanderer ins Land brachten. Ich habe großen Hunger und esse ein Stück davon, doch er schmeckt scheußlich. Der stundenlange Regen hat ihn vollkommen aufgeweicht, außerdem ist er von Schlamm durchsetzt. Ich lasse ihn, wo ich ihn gefunden habe. Die Bonbons allerdings nehme ich mit.
    Den ganzen Morgen und bis in den Nachmittag hinein bleibe ich an meiner Absturzstelle, erkunde die nähere Umgebung, werde kräftiger. Ich suche nach anderen Überlebenden, vor allem nach meiner Mutter. Ich rufe so laut ich kann: »Hallo! Ist da jemand?« Aber da ist nichts außer mannigfaltigen Froschstimmen, denn es ist Regenzeit.
    Und dann höre ich auf einmal das Brummen von Motoren. Es sind Flugzeuge, die über mir ihre Kreise ziehen. Ich weiß sofort, was sie suchen. Ich sehe hoch zum Himmel, doch die Urwaldbäume stehen zu dicht, hier kann ich mich auf keinen Fall bemerkbar machen. Ein Gefühl der Ohnmacht überkommt mich. Und der Gedanke: Du musst hier raus aus dem dichten Wald. Und dann entfernen sich die Flugzeuge, und nur die Stimmen des Urwalds bleiben zurück.
    Später erfahre ich, dass ich mich nur rund 5 0 Kilometer von Panguana entfernt befunden habe. Davon weiß ich nichts, aber mir ist klar, diesen Wald kenne ich. Und auf einmal wird mir ein ganz bestimmtes Geräusch bewusst, das schon immer da war, von Anfang an, aber jetzt erst in mein Bewusstsein vordringt. Das Geräusch von tropfendem, klingendem Wasser, ein leises Plätschern.
    Sofort versuche ich zu lokalisieren, woher diese Wasserlaute kommen, und tatsächlich: Ganz in der Nähe finde ich eine Quelle, die ein winziges Rinnsal nährt.
    Diese Entdeckung erfüllt mich mit großer Hoffnung. Nicht nur habe ich Wasser zum Trinken gefunden. Nein, ich bin davon überzeugt, dass mir dieses Bächlein den Weg in die Rettung weist. Denn ich erinnere mich auf einmal ganz deutlich einer Begebenheit, die sich in der Zeit ereignete, als ich mit meinen Eltern auf Panguana lebte.
    Damals besuchte uns eine Gruppe von Wissenschaftlern der nordamerikanischen Universität Berkeley. Sie waren auf dem Weg ins nahe Sira-Gebirge am Oberlauf des Yuyapichis, um dieses noch unerforschte Gebiet zu erkunden. Dort angekommen ereignete sich ein Unfall: Der Leiter der Expedition schoss sich aus Versehen eine Ladung Schrot ins Bein und musste dringend ärztlich versorgt werden. Da der Mann über zwei Meter groß war und viel zu schwer, als dass man ihn direkt hätte hinuntertragen können, schickte man einen Studenten los, um Hilfe zu holen. Der junge Mann verirrte sich prompt im Urwald, doch er wusste sich zu helfen: Er suchte nach fließendem Wasser, folgte ihm, bis er auf einen Bach stieß, der ihn wiederum zu einem größeren Wasserlauf und schließlich zu einem Fluss brachte, der glücklicherweise der Yuyapichis war, sodass er nach zwei Tagen und zwei Nächten Panguana erreichte.
    Diese Episode beeindruckte mich sehr, und ich vergaß sie nie. Und jetzt, nachdem ich an der Quelle meinen Durst gelöscht und mich ein wenig gewaschen habe, fasse ich einen Entschluss. Ich habe mich inzwischen davon überzeugen können, dass sich hier in der Nähe keine Überlebenden des Flugzeugunglücks befinden. Es hat keinen Sinn, länger zu warten. Hier werden mich

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