Als ich vom Himmel fiel
Absturz überlebt haben.
Was ich nicht weiß, ist, dass die Flugzeuge vergeblich suchen. Zwei Tage nach dem Unglück gibt es zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung, doch die meisten erweisen sich als falsch. Ein Jäger hat angeblich einen hellen Schein gesehen und dann eine Explosion gehört. Ein Waldarbeiter berichtet, er habe das Flugzeug am 24 . Dezember gesichtet, wie es in geringer Höhe entlang des Sira-Gebirges geflogen sei. Piloten der amerikanischen Linguisten am Ufer der Yarinacocha-Lagune, jener Missionare, die die Sprachen der Indianer erforschen, um die Bibel für sie übersetzen zu können, schließen sich der Luftwaffe FAP, der Fuerza Aérea del Perú, an. Man konzentriert sich auf ein trapezförmiges Gebiet zwischen Tournavista, einem Ort namens Aguas Calientes und Puerto Inca, denn inzwischen gibt es drei Versionen, die alle auf das richtige Gebiet deuten, immerhin höre ich fast den ganzen Tag über Suchflugzeuge. Dennoch bleibt die Aktion erfolglos. Der Urwald scheint das Flugzeug samt Passagieren einfach verschluckt zu haben.
Wegen der vielen Falschmeldungen wird eine Nachrichtensperre verhängt, nur offizielle Verlautbarungen werden zugelassen. Der Comandante der FAP, der die Suche leitet, reagiert drastisch: Personen, die Alarm schlagen, sollen verhaftet und verhört werden, heißt es. Das verunsichert die Bevölkerung, noch mehr Gerüchte gehen um. Anonyme Briefe tauchen auf, in denen die Rede von einer Strafe Gottes ist. Die Verunglückten wären ihrer vielen Sünden wegen gestraft worden.
Für viele Angehörige der Vermissten wird die Ungewissheit zu groß und das Warten unerträglich. Sie haben das Gefühl, etwas tun zu müssen, und schließen sich zu einer zivilen Patrouille zusammen, um endlich Antworten auf ihre vielen Fragen zu bekommen. Von Puerto Inca aus schlagen sie sich in den Regenwald, doch die Suche wird durch sintflutartige Regenfälle erschwert. Die Verzweiflung und Hilflosigkeit wächst, als ein Mann namens Adolfo Saldaña, dessen Sohn sich in der Maschine befand, bei dem Versuch, den Rettungsmannschaften Lebensmittel zu bringen, auf der schlechten Piste der Carretera Central mit dem Wagen verunglückt. Er stirbt noch am Unfallort.
Von all dem nichts ahnend setze ich im Urwald einen Fuß vor den anderen, immer zuerst mit dem beschuhten Fuß auftretend. Ich kämpfe mich durch totes Holz, das mir im Bachbett den Weg versperrt, klettere unbeirrbar über jedes Hindernis. Am dritten Tag nach dem Absturz finde ich im Bachbett das erste Trümmerteil seit ich unterwegs bin, nämlich eine Turbine. Sie ist auf einer Seite ganz schwarz. Aha, denke ich, das ist also wohl die, in die ich den Blitz einschlagen sah. Der Anblick erfüllt mich lediglich mit Verwunderung, denn ich stehe noch immer unter einem schweren Schock und den Nachwirkungen der Gehirnerschütterung. Es wird Jahre dauern, bis ich die ganze Tragweite dieses Fundes erfassen werde. Denn das Unwahrscheinliche tritt ein, 2 7 Jahre später werde ich an diesen Ort zurückkehren, und zwar mit dem Filmemacher Werner Herzog. Was ich mir in den Tagen nach dem Absturz nicht vorstellen kann, das wird dann Wirklichkeit: Ich werde Teile dieses Wegs noch einmal gehen, ich werde noch mehr Trümmerteile sehen und mich noch immer fragen, wie das alles möglich war. Und immer noch werde ich nur einige Antworten auf meine Fragen finden.
Fragen stelle ich mir in den ersten Tagen meiner Wanderschaft keine, weiterhin bin ich wie benommen. Am 28 . Dezember bleibt meine goldene Konfirmationsuhr, das Geschenk meiner Großmutter, endgültig stehen. Die Uhr ist eigentlich gar nicht wasserdicht und machte jetzt einen extremen Härtetest durch. Kurz denke ich an meine Konfirmation, die erst im vergangenen Frühjahr in Lima stattfand, mein Vater war sogar anwesend und suchte meinen Konfirmationsspruch aus. Er lautet: »Wohl dem Menschen, der Weisheit erlangt, und dem Menschen, der Einsicht gewinnt! Denn es ist besser, sie zu erwerben als Silber, und ihr Ertrag ist besser als Gold.« Es kommt mir nicht in den Sinn, wie treffend dieser Spruch auf meine Situation passt, erst viel später wird mich das nachdenklich machen. Denn ohne Wissen und Einsicht in die Gesetze des Urwalds wäre ich wahrscheinlich jetzt schon nicht mehr am Leben.
Und dann, während des vierten Tages meiner Wanderschaft, höre ich ein Geräusch, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es ist das Rauschen von großen Flügeln, unverwechselbar, lauter und länger anhaltend
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