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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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auf dem ich damals unterwegs war. Am Rand steht: »Ruta que siguió Juliana para llegar a Tournavista « – die Route, der Juliane folgte, um nach Tournavista zu gelangen. Und am Sockel dieser Skulpturengruppe ist in großen Buchstaben eingemeißelt: »Alas de Esperanza«, Schwingen der Hoffnung.
    Werner Herzog hat den Dokumentarfilm, den wir gemeinsam drehten, danach benannt. Oft grübelte ich über diesen merkwürdigen Namen für ein Monument, das für Menschen errichtet wurde, für die es keine Hoffnung mehr gab. Allenfalls könnte man mein Überleben als kurzzeitiges Hoffnungszeichen werten, doch angesichts der zahlreichen Opfer fand ich das immer etwas vermessen. Erst vor Kurzem erfuhr ich, dass es damals eine Hilfsorganisation der Missionare mit Buschflugzeugen gab, die »Alas de Esperanza« hieß, was natürlich viel mehr Sinn macht. Auch diese Organisation beteiligte sich an der Suche nach der abgestürzten Maschine, und der Pilot Robert Wenninger sollte derjenige sein, der das erste Trümmerteil aus dem Rumpf der Maschine endlich sichten konnte.
    Es ist seltsam, aber viele Jahre lang wusste ich nichts von der Existenz dieses Mahnmals, keiner erzählte mir davon. Erst Werner Herzog führte mich 1998 hierher. Schon damals erschütterte mich, wie jung doch die meisten Opfer gewesen waren. Eine Familie verlor zwei Töchter, die eine war 1 5 Jahre alt, die andere 18. Eine andere hatte gar drei tote Töchter zu beklagen, alle waren noch Kinder. Mary Elaine López wollte am 22 . Januar 1972 heiraten, sie starb gemeinsam mit ihrer Schwester. Eine Familie Sales verlor gleich drei Angehörige, darunter eine Mutter mit ihrem fünfjährigen Kind. Später erfuhr ich aus einer Sonderausgabe der in Pucallpa erscheinenden Zeitung »Impetu« vom 24 . Januar 1972 noch mehr Details über die Opfer: zum Beispiel, dass ein Mädchen gar nicht auf der Passagierliste stand, denn es übernahm das Ticket von einer Freundin, die krank geworden war. Ein junger Mann hatte einen Flug für den 26 . Dezember 1971 gebucht, wollte aber unbedingt früher fliegen. Nachdem ein Passagier zurückgetreten war, erhielt er dessen Platz. Ein anderer Mann konnte aus beruflichen Gründen nicht fliegen und gab seiner Freundin das Ticket. Und Rodolfo Villacorta gar gewann den Flug mit der LANSA in einem Preisausschreiben.
    Bin ich in Pucallpa, dann besuche ich das Monument. Immer wieder betrachte ich die kleinen Fotos, die nach hiesigem Brauch in ovalen Medaillons an den Vorderseiten der Nischen angebracht sind, hier sind die beiden Schwestern, dort das Mädchen, das den Platz ihrer Freundin einnahm. Doch einige der »nichos« sind seit meinem letzten Besuch offenbar leer geräumt worden, von Hand wurden hier und dort noch in schwarzer Farbe die Namen der Verunglückten aufgemalt, störrische Versuche, das Erinnern festzubannen und den Verfall, der mit dem allmählichen Vergessen einhergeht, aufzuhalten. Als ich den Friedhof verlasse, spricht mich ein betagter Mann an, der die Wege säubert. Es sei sehr nett von mir, sagt er, dass ich noch immer herkomme. Er weiß, wer ich bin. Auch wenn selbst hier in Pucallpa, wie er traurig hinzufügt, die Menschen allmählich vergessen.
    Vom Friedhof aus fahren wir zu Tío Bepo, das ist ein Onkel Moros, und sein schattiger Hof, keine 10 0 Meter vom Ufer des Río Ucayali entfernt, wird heute unsere Basisstation sein zwischen unseren vielen Besorgungen. Denn auch hier müssen wir einiges erledigen. Auf Tío Bepos Gartentisch breitet Moro mit sorgenvoll gerunzelter Stirn einige Dokumente vor mir aus, es sind die Unterlagen für den Erwerb eines der Grundstücke, die die Fläche von Panguana erweitern sollen. Einer der Vorbesitzer hat uns offenbar nicht ganz die Wahrheit gesagt, wie Moro nach der Begehung des Grundstücks feststellte. Da sich diese Ländereien mitten im Urwald befinden, ist es nicht immer leicht, einwandfrei festzustellen, wie genau die Parzellen beschaffen sind und wie die Grenzen zu den Nachbargrundstücken verlaufen. Manche der älteren Dokumente, die den Besitz belegen sollen, sind mitunter historisch wertvoll, aus brüchigem, weichem Papier, handgeschrieben und nicht selten mit dem Abdruck des Daumens legitimiert. Bei einigen der Grundstücke wurde der Verkauf nur durch Handschlag zwischen Vorbesitzer und Nachbesitzer, im besten Fall durch handgeschriebene Briefe beglaubigt, die meisten der acht Grundstückseigentümer vermieden den aufwändigen und mit Kosten verbundenen Eintrag ins Grundbuch und

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