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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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ich interessierte mich für Pflanzen, mir gefiel, was meine Eltern machten, das war bislang für mich Grund genug. In diesen Regennächten denke ich nun, dass es schön wäre, mein Leben etwas Großem zu widmen, etwas Wichtigem, etwas, von dem die Menschheit und die Natur profitieren werden. Was das sein könnte, davon habe ich keine Ahnung. Ich fühle nur, dass mein Weiterleben einen Sinn machen soll im Gefüge der Welt. Denn es muss doch einen Sinn haben, dass ich aus dem Flugzeug fiel und nur ein paar Schrammen davontrug.
    Diese »paar Schrammen« allerdings machen mir in den folgenden Tagen doch etwas Sorgen. Die Schnittwunde an der Wade quillt auf mit wild wucherndem, weißlichem Fleisch. Noch immer spüre ich keine Schmerzen. Anders ist es mit der versteckten Wunde am hinteren rechten Oberarm, ich muss meinen Kopf arg verdrehen, um zu sehen, was da los ist. Zu meinem Entsetzen entdecke ich weiße Maden, deren Leiber wie winzige Spargelköpfe aus der Wunde herauslugen! Offenbar haben Fliegen ihre Eierpakete in meine Wunde gelegt, und die Brut ist jetzt bereits einen Zentimeter lang. Auch darüber weiß ich bestens Bescheid, und diesmal macht mir mein Wissen Sorgen.
    Denn Lobo, mein Schäferhundmischling, war einmal von Fliegenmaden heimgesucht worden. Er hatte, von uns unbemerkt, einen kleinen Riss an der Schulter, und hier legten die Fliegen ihre Eier hinein. Unter der Haut verborgen schlüpften die Maden und gruben sich immer tiefer ins Fleisch. Das machen sie sehr geschickt, vermeiden Blutgefäße, sodass die Wunde nicht blutet, und damals fraßen sie sich unter Lobos Fell einen tiefen Kanal seinen Lauf entlang bis hinunter zur Pfote. Nachts winselte Lobo, und wir fragten uns, was er wohl hatte, noch immer waren die Fliegenmaden völlig unsichtbar. Dann schwoll das Bein irgendwann an und begann zu riechen, da war es bereits so schlimm, dass sich der Hund nicht mehr anfassen lassen wollte. Endlich entdeckten wir, was geschehen war. Normalerweise bekommt man die Maden mit Alkohol aus dem Körper, aber mein Vater sagte, das können wir nicht machen, da wird der Hund verrückt vor Schmerzen. Darum schütteten wir Petroleum in die Wunde, das nicht brennt, bis die Maden eine nach der anderen herausgekrabbelt kamen und wir den armen Lobo verarzten konnten. Glücklicherweise heilte seine Wunde danach problemlos zu.
    Also weiß ich, was ich zu tun habe: Die Maden müssen raus. Doch ich habe weder Alkohol noch Petroleum. Nur einen silbernen, spiralförmigen Ring, und den biege ich jetzt auf und versuche damit, die Maden herauszufischen. Doch sobald ich meine selbst gebastelte Pinzette nähere, verschwinden die Maden in meinem Fleisch. Ich probiere es mit der Schnalle am Verschluss meiner Armbanduhr, aber auch das führt zu nichts. Da beschleicht mich ein ziemlich mulmiges Gefühl. Es ist kein schöner Gedanke, bei lebendigem Leib von innen her aufgefressen zu werden. Ich weiß zwar, dass mir die Maden selbst nichts Gefährliches zufügen werden, wie alle guten Parasiten schädigen sie den Wirt zunächst nicht, aber natürlich kann sich die Wunde infizieren, schließlich schwimme ich den ganzen Tag in braunem, erdigem Flusswasser. Und sollte das eintreten, dann ist nicht ausgeschlossen, dass mir am Ende der Arm abgenommen werden muss. Von solchen Fällen habe ich bereits gehört, ich wäre nicht die Erste, der das passieren würde.
    Da ich im Moment nichts dagegen machen kann, schwimme ich weiter. Mir ist längst aufgefallen, dass die wilden Tiere am Flussufer extrem zutraulich sind, ich sehe Marder und Spießhirsche, die sich vor mir keineswegs erschrecken, höre Brüllaffen ganz nah, und das gibt mir zu denken, denn normalerweise sind diese Tiere äußerst scheu. Was das bedeutet, das weiß ich, aber ich versuche, den Gedanken von mir fernzuhalten: dass dieser Fluss und der umliegende Wald nämlich noch nie mit Menschen in Berührung kamen und dass es viele Kilometer dauern wird, bis sich das möglicherweise ändern wird.
    Inzwischen werde ich immer schwächer. Hunger fühle ich zwar keinen, aber ich merke, wie alles mühsamer wird. Ich trinke viel von dem Flusswasser, das füllt meinen Magen, und ich weiß, dass ich etwas essen sollte. Wie viele Tage bin ich jetzt schon unterwegs? Sieben? Oder acht? Ich zähle an den Fingern ab, und mir wird bewusst, dass das neue Jahr 1972 möglicherweise schon begonnen hat. Meine Mutter wollte unbedingt den Jahreswechsel zusammen mit meinem Vater feiern, das war ja der Grund, warum

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