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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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sie nicht noch länger auf einen Flug warten wollte. Und jetzt frage ich mich, wo mein Vater wohl sein mag?
    Erst kürzlich fand ich im Nachlass meiner Tante Briefe, die mein Vater in jenen Tagen verfasste. So schreibt er am 31 . Dezember 1971: » … Nun ist schon eine Woche vergangen, und noch immer ist die Maschine nicht gefunden worden. Es herrschte zumeist gutes Wetter, sodass Suchaktionen in allen möglichen Richtungen gestartet werden konnten. Ich befinde mich auf der Hacienda von Herrn Wyrwich, der einen Flugplatz hat und deshalb mit Sender und Empfänger ausgerüstet ist. Wir können in Pucallpa anfragen und werden dann über den Stand der Suchaktion informiert.« Danach folgt eine Aufzählung der verschiedenen Theorien und Aussagen von Zeugen, die alle das Flugzeug selbst oder eine Detonation gehört haben wollen. Es stellt sich aber heraus, dass im nahen Sira-Gebirge aufgrund der anhaltenden Regenfälle ein Erdrutsch niedergegangen war, der dieses Geräusch verursacht haben könnte. Während ich zum ersten Mal diesen Brief in der typischen, ordentlichen Handschrift meines Vaters las, versuchte ich mir vorzustellen, wie es in ihm ausgesehen habe mochte. Erst der zweite Teil des Briefes, nach einer Unterbrechung geschrieben, zeugt von seinen Emotionen. Denn inzwischen war ein US-amerikanischer Adventist namens Clyde Peters mit seiner Maschine bei Herrn Wyrwich gelandet und hatte ihm Mut zugesprochen. Einiges spräche für die Theorie, dass das Flugzeug der LANSA irgendwo notgelandet sein musste. Sogar an der Handschrift meines Vaters konnte ich erkennen, wie die neu entflammte Hoffnung ihn offenbar beflügelte.
    Von all dem habe ich während meiner Odyssee natürlich nicht die geringste Ahnung. Ich habe nur eines im Sinn: Ich muss Menschen finden. Tagsüber schwimme ich oder lasse mich treiben, und nachts habe ich nun ein paar Begegnungen mit größeren Tieren. Einmal, während ich mitten in einem Gebüsch zu schlafen versuche, höre ich direkt neben mir ein Fauchen und Scharren. Ich weiß, dass das wohl kein Jaguar und auch kein Ozelot ist, wahrscheinlich rumpelt da neben mir ein Majás, zu Deutsch ein Paka, ein Nagetier, so groß wie ein mittlerer Hund, mit braunem Fell und weißen, in Bahnen angeordneten Flecken. Ich räuspere mich, da kriegt das Tier einen furchtbaren Schreck und rennt in wilden Sätzen laut grunzend davon.
    Am nächsten Morgen fühle ich an meinem oberen Rücken einen stechenden Schmerz, und wie ich mit der Hand dort hinfasse, ist sie blutig. Die Sonne hat, während ich im Wasser geschwommen bin, meine Haut verbrannt, sie löst sich bereits in Fetzen ab. Es sind Verbrennungen zweiten Grades, wie ich später erfahren werde. Auch daran kann ich jetzt nichts ändern, ich lasse mich weiter im Wasser treiben. Zum Glück nimmt die Strömung zu. Geschwächt, wie ich bin, muss ich nur achtgeben, dass ich nicht gegen einen im Fluss treibenden Baumstamm pralle oder mich an einem anderen Hindernis verletze.
    Immer wieder narren mich meine schlechten Augen, oft bin ich davon überzeugt, das Dach eines Hauses am Ufer zu sehen. Auch meine Ohren täuschen mich, und ich bin ganz sicher, Hühner gackern zu hören. Aber natürlich sind es keine Hühner, es ist der Ruf eines ganz bestimmten Vogels, und obwohl ich den genau kenne, falle ich immer wieder auf diese Laute herein. Dann ärgere ich mich, schimpfe mich selbst aus: »Wie kannst du nur so blöd sein, du weißt doch, dass das keine Hühner sind.« Und doch passiert es mir immer wieder. Die Hoffnung, endlich, endlich Menschen zu finden, ist stärker. Und schließlich falle ich in eine Apathie, wie ich sie noch nie zuvor an mir erlebt habe.
    Ich bin müde. So entsetzlich müde. In den Nächten phantasiere ich vom Essen. Von aufwändigen Gerichten und von ganz einfachen Speisen. Morgen für Morgen fällt es mir schwerer, mich von meinem unbequemen Lager zu erheben und ins kalte Wasser zu steigen. Hat es einen Sinn, weiterzumachen? Ja, sage ich mir unter Aufbietung aller Kräfte, du musst weiter. Weiter. Weiter. Hier gehst du zugrunde.
    Einmal sinke ich mitten am Tag unter der grellen Sonne auf eine Sandbank im Fluss, die mir ideal erscheint, um mich ein bisschen auszuruhen. Ich bin schon fast eingedöst, beachte die am Ufer allgegenwärtigen, mich ständig piesackenden Kriebelmücken kaum noch, da höre ich ein Fiepen in meiner Nähe, das ich kenne. Junge Krokodile machen diese Geräusche, und als ich die Augen öffne, sehe ich Baby-Kaimane, nur 2 0

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