Als ich vom Himmel fiel
Griff, nur einmal aufgestört durch die Beharrlichkeit eines Werner Herzog.
Und weiter geht es über den breiten, erdigen Weißwasserfluss Súngaro und durch die gleichnamige Siedlung, immer Richtung Süden. Es ist nicht mehr weit, und doch zieht es sich hin, meine Ungeduld wächst mit meiner Vorfreude. Nach Überquerung des wunderschönen Schwarzwasserflusses Yanayacu erreichen wir die Stichstraße nach Yuyapichis, und als wir endlich im Dorf ankommen, sind es noch drei Stunden bis zur Dämmerung. Ich treibe Moro zur Eile an, denn nun gilt es, Boote zu organisieren für uns und unsere Fracht. Aber so schnell geht es hier nun mal nicht, das müsste ich eigentlich wissen.
Und irgendwann fällt die Hektik der Großstadt einfach von mir ab. Der Urwald hat sein eigenes Tempo, und die Menschen passen sich ihm an. Und so rege ich mich auch nicht auf, als Moro eine Stunde später verschwitzt und keuchend vor mir steht mit der Nachricht, für uns und unsere Koffer habe er ein Boot auftreiben können, jedoch für unsere Lebensmittel nicht. Also lagern wir die erst einmal in Nerys Haus ein und machen uns auf zum Fluss. Mañana, mañan a – morgen ist auch noch ein Tag.
Die Fahrt über den Fluss ist für mich jedes Mal wie die Überquerung einer geheimnisvollen Grenze. Davor liegt das wirkliche Leben, dahinter Panguana. Natürlich ist Panguana genauso wirklich wie das Leben in Lima oder das in München. Aber es gehört einer anderen Welt an. Dort ist die Natur geduldeter Gast, man pflanzt ein paar Bäume, stellt sich Pflanzen vors Fenster und hält sich ein Haustier. Hier in Panguana ist die Natur Gastgeberin, und wir sind die Besucher. Auch wenn mir dieses Fleckchen Erde dem Papier nach gehört, so betrachte ich es doch eher als geliehen oder besser noch: anvertraut. Wir Biologen kommen, staunen, lernen, beschreiben und versuchen, unser neu erworbenes Wissen der Menschheit zugänglich zu machen.
»Wozu ist es gut, zu wissen, wie viele Käfer, Ameisen, Wanzen, Milben und sonstige Viecher dort kreuchen und fleuchen?«, werde ich oft gefragt. »Was nützt uns das?«
»Man kann nur schützen, was man zuvor erforscht und kennengelernt hat«, pflege ich darauf zu antworten, »und irgendwann wird man auch hier feststellen, dass es nützlicher und wertvoller ist, die Wälder und ihre Biodiversität langfristig zu erhalten, anstatt sie für einen kurzfristigen Gewinn zu vernichten.« Solange aber der Regenwald für uns nichts anderes ist als eine Wildnis, eine »Grüne Hölle«, benehmen wir uns wie Kinder, die einen Haufen Geldscheine anstecken, nur weil sie nicht wissen, was das Papier wert ist.
Von meiner Liebe zu diesem grünen Universum, dessen Geheimnisse wir alle noch immer so wenig durchschauen, schweige ich lieber. Gefühle halten viele für ein wenig schlagkräftiges Argument. Und gute Argumente gibt es natürlich wirklich genügend: Zerstört man die tropischen Wälder, dann entweicht das dort zuvor in der Biomasse gespeicherte CO 2 in die Atmosphäre, und das sind viele Milliarden Tonnen, zusätzlich werden noch weitere schädliche Gase freigesetzt. Ist die Walddecke dezimiert, wird es zunehmend trockener, der Grundwasserspiegel sinkt, und die Temperaturen steigen. Die Folgen sind unübersehbar und haben erschreckende Auswirkungen auf das gesamte Weltklima.
Als meine Eltern vor über 4 0 Jahren hierherkamen, da waren die Amazonaswälder noch so gut wie unerforscht. Ihre Idee war es, in einem bestimmten, übersichtlichen Gebiet zu untersuchen, was hier auf engem Raum zusammenlebt. Sie suchten sich Panguana aus, um ihren Fokus auf diese zwei exemplarischen Quadratkilometer in der unermesslichen Weite des Regenwalds zu richten. Sie wollten zunächst einmal einfach nur beobachten und zusammentragen, was hier überhaupt lebt und wächst. Ein Großteil ihrer Arbeit bestand deshalb darin, Artenlisten anzulegen. Zugleich wollten sie das Ökosystem des Tieflandregenwalds erforschen, in dem diese vielen Arten miteinander im Wechselspiel stehen, besonders die »ökologische Einnischung« von Tieren und Pflanzen, denn jede Art sucht sich eine solche Nische, in der sie neben den anderen existieren kann. Dies ist meist ein sehr komplexes und spannendes Beziehungsgefüge. Während meine Mutter als Ornithologin ihr Augenmerk vorwiegend auf die Erforschung der Vogelwelt richtete, hatte mein Vater immer schon das »große Ganze« im Visier, und auch wenn man das zu seiner Zeit noch nicht so nannte, arbeitete er eigentlich von Anfang
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