Als ich vom Himmel fiel
nach.
Es ist wie ein Spießrutenlauf. »Juliana«, höre ich, »lächle für uns!« »Juliana, hast du die grüne Hölle gut überstanden?« »Juliana, was wirst du jetzt tun?« Ich möchte nichts sagen, ich möchte mich in Luft auflösen, ich bin ein eher schüchterner Mensch, diese Aufmerksamkeit wird mir zu viel. »Juliana, hast du schon einen Freund?« »Juliana, stimmt es, dass du zu San Martín de Porres, dem Schwarzen Heiligen, betest?«
Endlich sind wir durch. Ich kann es kaum fassen. Wieso interessieren sich all diese Menschen immer noch für mich? Während der Wochen in Panguana habe ich kaum eine Handvoll Leute gesehen. Und hier strömt alles auf mich ein.
Mein Vater wohnt, wie so oft, auch während dieses Aufenthalts in Lima im Gästezimmer des Naturhistorischen Museums. Er zieht sich von allem zurück, will nichts sehen und nichts hören, sondern mit seiner Trauer allein sein. Und ich beziehe wieder mein Zimmer bei der Großmutter meiner Schulfreundin Edith. Doch wenn ich dachte, alles sei wie vor dem Unfall, dann sehe ich jetzt ein, dass nichts mehr ist wie früher. Wildfremde Menschen sprechen mich auf der Straße an, wollen ein Autogramm von mir oder mich einfach nur anfassen. Ich finde das unglaublich anstrengend, habe noch nicht gelernt, mit diesem plötzlichen »Ruhm« umzugehen. Auch die Journalisten lassen mir keine Ruhe. Trete ich aus dem Haus, sind sie schon da. Gehe ich mit meinen Freundinnen in der Stadt spazieren, verfolgen sie uns. Fahren wir zum Strand, dann erwarten sie mich bereits. Sogar mit dem Teleobjektiv versuchen sie, mich in meinem Zimmer zu fotografieren. Schließlich fühle ich mich wie belagert, es macht überhaupt keinen Spaß mehr, irgendetwas zu unternehmen. So habe ich mir meine Rückkehr nach Lima nicht vorgestellt.
In dieser Stimmung überredet mich meine Freundin Edith an einem schönen Nachmittag, mit ihr in den Deutschen Club zum Schwimmen zu gehen. Ich war nur selten dort, denn meine Eltern besuchten diesen Ort nicht, doch Edith gibt keine Ruhe.
»Ach«, sage ich, »ich weiß nicht, da lauern mir sicher wieder die Journalisten auf. Lieber nicht.«
»Du kannst doch nicht ewig bei zugezogenen Vorhängen im Zimmer sitzen«, meint sie. »Am besten gewöhnst du dich einfach an die Presse. Und du wirst sehen, so schlimm ist das gar nicht.«
Edith weiß, wovon sie spricht. Denn sie hat als Leichtathletin für Peru schon zahlreiche Medaillen gewonnen und ist selbst eine Berühmtheit. Sie hat Erfahrung mit Presseleuten, und sie verspricht, mir beizustehen.
»Außerdem siehst du Gespenster«, sagt sie. »In den Deutschen Club lassen sie keine Journalisten rein. Komm schon, das Wetter ist doch so schön.«
Schließlich gebe ich nach. Edith hat recht, denke ich, bald fängt die Schule wieder an, und da bleibt uns nicht viel Zeit für solche Dinge.
Zunächst scheint auch alles ruhig zu sein im Deutschen Club. Doch kaum treten wir aus der Umkleidekabine, sind sie auch schon wieder da: Ich habe keine Ahnung, wie sie dort hineingekommen sind, aber auf einmal sehe ich mich schon wieder von Presse umringt. Diesmal ist sogar eine laufende Fernsehkamera auf mich gerichtet.
»Komm«, sagt Edith leise zu mir, »am besten gibst du jetzt ganz freundlich ein paar Antworten, dann lassen sie dich auch bald wieder in Ruhe.«
Und auf ihren Rat hin setze ich mich folgsam auf eine Schaukel, lächle freundlich und beantworte die harmlosen Fragen der Journalisten. Und wirklich, nach kurzer Zeit zieht das Fernsehteam wieder ab. Bei mir hinterlässt dieser Zwischenfall aber dennoch ein ungutes Gefühl.
Mein Leben wäre anders verlaufen, hätte mein Patenonkel nicht ausgerechnet an jenem Abend meinen Vater zu sich nach Hause eingeladen. Zu den Hauptnachrichten schaltet man den Fernseher ein. Und da sieht er, zu seiner grenzenlosen Bestürzung, seine Tochter. Sie sitzt im Bikini auf einer Schaukel, lächelt in die Kamera und erzählt der Welt, es gehe ihr gut. Es ist ein großer Zufall, denn mein Vater sieht normalerweise nie fern. Doch jene zwei Minuten, die muss er ausgerechnet sehen. Zuerst ist er wie vom Schlag gerührt. Dann sieht er rot.
»So also trauerst du um deine Mutter!«, schleudert er mir zornig entgegen, als er mich am selben Abend noch aufsucht. Und dann verkündet er mir, was er unumstößlich beschlossen hat. Ich werde das Land auf der Stelle verlassen. Nicht in Lima werde ich mein Abitur machen, sondern in Deutschland. So bald wie möglich wird er mich in ein Flugzeug
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