Als ich vom Himmel fiel
an schon ökologisch.
Ursprünglich wollten meine Eltern fünf Jahre hier bleiben und dann zurück nach Lima gehen, um ihre Ergebnisse auszuwerten. Wahrscheinlich konnten sie sich damals auch nicht vorstellen, länger als fünf Jahre in dieser Abgeschiedenheit zu leben. Bald aber stellten sie fest, dass die Vielfalt im andennahen Tieflandregenwald derart groß ist, dass man mehr als ein ganzes Leben bräuchte, um allein die Artenlisten nur annähernd zu vervollständigen. Damals gab es solche lediglich für die großen oder häufigen Tiere und Pflanzen. Es existierten einige oberflächliche Zusammenstellungen für ausgedehntere Regionen oder das ganze Land, die jedoch keine biologischen Zusammenhänge berücksichtigten und nicht speziell den Regenwald thematisierten. Was meine Eltern hier mit ihrem Anspruch auf Vollständigkeit auf kleiner Fläche und die Tiefen dieses Ökosystems ausleuchtend leisteten, war daher echte Pionierarbeit.
Die Kunde von der enormen Vielfalt an Lebensformen in Panguana lockte Forscher aus aller Welt hierher. Meine Eltern, vor allem meine Mutter, waren weltweit ausgezeichnet mit Kollegen vernetz t – und das zu Zeiten, in denen es noch kein E-Mail und Internet gab und ein Brief meist mehrere Monate benötigte, um uns zu erreichen. In den Briefen meiner Mutter ist von den Schwierigkeiten mit der Post des Öfteren die Rede, und sie scheute sich auch nicht, die Verantwortlichen aufzusuchen und zu befragen, warum eine Postsendung mitunter sogar ganze fünf Monate brauchte, um von Pucallpa nach Panguana zu gelangen.
Immer wieder reiste meine Mutter auch in die USA oder nach Europa, um an Kongressen teilzunehmen. Ich erinnere mich besonders gut an eine ihrer längeren Abwesenheiten Anfang 1970, kurz vor meiner Rückkehr nach Lima. Damals hatten wir zahlreichen Forscherbesuch, und ich musste täglich für alle kochen, was ich als ziemlich anstrengend empfand.
Meine Eltern waren also die Ersten, die untersuchten, wie sich hier jegliche Lebensform, die sie antrafen, in ihre Umwelt einfügt, wie sie dem Feinddruck entgeht, welche Strategien sie entwickelt, um Nahrungskonkurrenten zu trotzen, und vieles mehr. Da sie sich vorgenommen hatten, alles zu berücksichtigen, nichts auszuklammern und auch keine Prioritäten zu setzen, war ihnen rasch klar, dass diese Arbeit so gut wie uferlos war und sehr lange dauern würde, wenn sie nicht Hilfe bekämen. Aus diesem Grund waren sie froh, zahlreiche ihrer Kollegen für Panguana als neues Studiengebiet interessieren zu können. Selbst heute ist noch bei Weitem nicht alles Leben erfasst, und dennoch ist Panguana die am besten erforschte Urwaldstation im peruanischen Regenwald östlich der Anden. Sie ist zudem die älteste, wenn auch nicht die größte, und die meisten anderen sind mit bedeutend mehr Mitteln ausgestattet. Als mein Vater 1974 Panguana verließ und als Professor in Hamburg lehrte, vergab er an seine Studenten Diplom- und Doktorarbeiten zu ökologischen Problemstellungen, die in Panguana noch nicht so gut erforscht waren. So kam im Laufe der Zeit viel Wissen zusammen. Aber über Panguanas Fische hat noch niemand eingehender systematisch gearbeitet. Einmal bauten meine Eltern ein Stellnetz im Fluss auf und fanden gleich 35 verschiedene Arten darin. Auch hier gäbe es noch so viel zu tun.
Wenn meine Mutter sehen könnte, was inzwischen aus Panguana geworden ist, denke ich, während ich die Böschung hinunter zum Río Pachitea klettere, wo das Boot auf uns wartet, wäre sie sicher glücklich. Und vielleicht würde sie augenzwinkernd sagen: »Was? In all den Jahren habt ihr es noch nicht geschafft, die Artenliste der Fische zu vervollkommnen?«
Mit zwei, drei Schritten besteige ich beherzt unser Boot »Panguan a I«, eine Canoa, also ein traditioneller Einbaum, der seitlich mit Brettern verstärkt und vergrößert wurde. Seine Schritte setzt man besser genau in die Mitte, sonst kann es sein, man plumpst schneller ins Wasser, als man »upps« sagen kann. Früher, während meiner zwei Jahre in Panguana, konnte ich eine einfache Canoa ohne Seitenverstärkung sogar selbst staken. Ich habe es lange nicht mehr versucht. Heute benutzt man die charakteristischen 7-PS-Außenbordmotoren, wegen ihres keckernden Geräuschs »Peke Peke« genannt. Sie verfügen über eine lange Steuerstange, mit deren Hilfe man die Schraube im Nu aus dem Wasser heben kann, was sehr praktisch ist, wenn man unversehens in eine Untiefe gelangt. Und selbst die »Peke Pekes«
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