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Als könnt' ich fliegen

Als könnt' ich fliegen

Titel: Als könnt' ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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ihrer Aufmerksamkeit. Schon im Treppenhaus hampelte und tanzte er um die Traube Mädchen herum, von der sie stets umgeben war. Meistens tat sie dann, als würde sie ihn nicht bemerken. Sie schien voll und ganz damit beschäftigt, die Huldigungen ihres Hofstaats entgegenzunehmen. Trotzdem sah ich ihr genau an, dass sie Marcos idiotische Bemühungen wohlwollend zur Kenntnis nahm. Auch wenn sie ihn nie direkt ansah. In dieser Pause aber war plötzlich etwas anders.
    Ich zog mit Björn an der Mädchentraube vorbei die Treppe runter. Instinktiv verlangsamte ich das Tempo. Dann sah ich Milena, die uns mit einer Sporttasche auf der Treppe entgegenkam. Marco sah sie nicht und versperrte ihr bei seinem Herumgehampel unabsichtlich den Weg. Ilka registrierte es. An den Blitzen, die aus ihren Augen schossen, sah ich, dass sie etwas ausheckte. Ich hielt Björn am Arm zurück und blieb stehen, um die Situation im Blick zu behalten.
    »Hey, Marco!«, rief Ilka so laut, dass jeder es hören musste. »Kannst du nicht mal eben zur Seite gehen?«
    Marco drehte sich verdattert um und sah Milena. Einen Augenblick lang wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Ilka half ihm: »Jeder weiß«, sagte sie, »dass du ein schlecht erzogener Trottel bist. Aber du wirst doch wenigstens gelernt haben, dass man Platz macht, wenn eine Behinderte die Treppe raufwill. Krüppel haben Vorfahrt.« Mir blieb die Luft weg. Aber ich blieb stehen wie angewurzelt. Marco dagegen reagierte prompt. Unterwürfig sprang er beiseite.
    »Bitte sehr!«, rief er Milena zu. »Und verzeih meine Unhöflichkeit!«
    Ilka triumphierte. Ihre Blicke schossen zwischen Milena und mir hin und her. Sie lauerte auf unsere Reaktion. All das spielte sich in Sekundenbruchteilen ab, meine Erstarrung hielt an. Milena zögerte kaum spürbar.
    »Danke«, sagte sie ganz ernst zu Marco. Ihre Stimme war laut und klar. Dann ging sie einfach die Treppe weiter hoch. Unsere Blicke streiften sich wie ein Hauch, mehr nicht.
    Ilka war das alles entschieden zu unspektakulär. Ich sah die Enttäuschung in ihren Augen. Aber schon blitzte es erneut.
    »Willst du ihr nicht die Tasche tragen, Marco?«, sagte sie. »Du siehst doch, wie schwer ihr das Gehen fällt.«
    Marco schien begeistert. Er zögerte nicht, Milena hinterherzustürmen. Dazu musste er an uns vorbei. Das war die Chance. Mit einer kurzen, schnellen Bewegung stellte ich meinen Fuß so, dass er darüber stolpern musste. Er hatte schon irgendeinen blöden Spruch auf den Lippen, der nun mit ihm zusammen auf die steinharte Treppe knallte.
    »Oh«, sagte ich trocken. »Tut mir leid.«
    Marco sprang sofort wieder hoch, aber es war zu spät.
    »Trottel!«, zischte Ilka verächtlich und zog mit ihrem Tross weiter nach draußen. Bedeppert glotzte Marco ihr hinterher. Seine Unterlippe blutete leicht.
    »Aber …«
    Milena drehte sich erst um, als sie auf der obersten Stufe angelangt war. Sie registrierte sofort, was passiert war.
    »Danke«, sagte sie in meine Richtung. »Wäre aber nicht nötig gewesen.« Die Abwesenheit ihres Lächelns tat weh. Ich verstand es selbst nicht richtig, aber es war so. Dann kehrte meine Wut zurück. Grob packte ich Marco am Arm. »Noch einmal, du Schafskopf, und ich brech dir sämtliche Knochen.«
    Nackte Panik stand in seinen Augen, und ich merkte jetzt erst richtig, was für ein jämmerlicher Typ er war. Als ich wieder nach oben sah, war Milena verschwunden. Marco nutzte die Chance und floh nach draußen. Björn zuckte mit den Schultern: »Da sind sie alle weg.« Ich zögerte nicht länger und rannte Milena nach. Noch vor dem Klassenraum konnte ich sie abfangen. Ich hielt sie an der Schulter zurück.
    »Wie ist es denn nun?«, fragte ich.
    »Wie ist was? « Sie schien wirklich nicht zu verstehen.
    »Na, mit dem Eis?«
    Endlich lächelte sie. Sofort ging es mir besser. Aber viel zu schnell wurde sie wieder ernst. Andere Leute aus ihrer Klasse gingen an uns vorbei.
    »Ich glaub, das lassen wir besser«, sagte sie, schaute mich aber eine halbe Sekunde länger an als nötig.
    »Warum?«, fragte ich.
    Milena wendete sich ab. »Weil es keinen Sinn macht.« Sie sah mich nicht an, öffnete die Klassentür. Resignation packte mich. Ich hatte schon gewusst, warum ich sie so lange nicht gefragt hatte. Ich hätte es bleiben lassen sollen. Sie gab mir keine Chance.
    »Ich kann dir sagen, was für einen Sinn es macht.« Ich wunderte mich, meine Stimme diese Worte sprechen zu hören.
    »So?« Sie hielt die Klinke in der Hand,

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