Als könnt' ich fliegen
aus.
Ich dagegen ließ sie nicht aus den Augen und sah, wie sie sich nach und nach einlebte. Auch wenn sie nicht unbedingt über Nacht zum Shootingstar der Schule avancierte, so wurde sie doch in ihrer Klasse angenommen und akzeptiert. Offenbar hatte sie ein paar Freundinnen gefunden, mit denen ich sie auf dem Schulhof oder dem Nachhauseweg sah. Das freute mich zwar für sie, aber ich fragte mich auch, warum nicht ich anstelle dieser Schnepfen mit ihr zusammen sein konnte.
»Warum redest du nicht einfach mit ihr?«, fragte Björn mich in einer Pause auf dem Schulhof. Das war wieder einer der Augenblicke, in denen ich seine Fähigkeit hasste, in mein Inneres zu schauen. Was ging es ihn an, mit wem ich redete oder nicht? Er bot mir die Hälfte seines Müsliriegels an, ich schob sie weg.
»Du fantasierst mal wieder«, sagte ich und zog mich tiefer in den Schatten zurück.
Björn überhörte meinen Einwand glatt.
»Immerhin wollte sie schon mal ein Eis mit dir essen gehen«, sagte er. »Vergiss das nicht.«
»Das ist es ja gerade«, sagte ich. »Ich hab da irgendwas falsch gemacht. Vom Eisbecher sind wir jetzt so weit entfernt wie vom Eis am Nordpol.«
»Natürlich«, meinte Björn. »Und ich weiß auch, warum.« Das letzte Stück Müsliriegel verschwand in seinem Mund. »Bäh, die Dinger kleben.«
»Schlauscheißer!«, sagte ich.
»Du hast einfach keine Ahnung von Frauen«, erklärte Björn.
»Aber du«, gab ich gelangweilt zurück. »Alles klar.«
Ich wusste definitiv, dass er noch nie eine Freundin gehabt hatte, auch wenn er sich alle zehn Finger danach leckte.
»Ich gucke Filme«, sagte er.
»Ach ne!« Bekanntermaßen tat er in seiner Freizeit kaum etwas anderes. Er wollte Schauspieler werden.
»Aus Filmen«, sagte er, »lernt man viel mehr als im wirklichen Leben. Filme sind voller Lebensweisheiten. Im wirklichen Leben kannst du mit der Lupe danach suchen.«
»Und?«, fragte ich. Aber eigentlich interessierte mich die Antwort nicht.
»Wenn eine Frau«, dozierte Björn, »ein erstes Date verstreichen lässt, einfach so, dann bedeutet das in mindestens neunzig Prozent aller Fälle, dass sie nur darauf wartet, ein zweites Mal darauf angesprochen zu werden.«
»Wenn du das sagst«, frotzelte ich, »dann muss es wohl so sein.«
»Nicht ich sage das«, meinte er theatralisch, »sondern die weite Welt des Films.«
»Was zu überprüfen wäre.«
»Was überprüft ist «, sagte Björn. »Diesmal von mir persönlich. Bei dem Thema sind sich praktisch alle Filmschaffenden einig. Das Menschenweibchen will ausreichend umworben sein. Sonst nimmt es das Interesse des Männchens nicht ernst genug.«
Das Klingelzeichen ertönte, die Pause war beendet.
»Du laberst dir manchmal einen Mist zusammen«, sagte ich und stand schwerfällig auf. »Unglaublich.«
7
26. August, Montag, abends
Heute kam ein Brief von Lena. Der erste! Sie schreibt, sie vermisst mich. Soll ich das glauben? Nach fast einem Monat der erste Brief! Ich hab ihr schon drei geschrieben. Aber jetzt antworte ich erst mal ein paar Wochen nicht. Schließlich bin ich nicht auf sie angewiesen, die blöde Kuh!
Hab hier schon ein paar neue Freundinnen gefunden. Vor allem Lisa. Sie geht in meine Klasse. Wir verbringen jede Pause zusammen. Nach der Schule haben wir noch nichts gemeinsam unternommen, aber das kommt noch. Lisa ist die Beste in der Klasse. Nicht, dass ich das unbedingt wichtig fände. Aber schlimm ist es auch nicht. Obwohl viele sie deswegen nicht abkönnen. Heute Nachmittag war ich mit Tobias Eis essen.
Ich glaube nicht an Filmklischees. Überhaupt nicht. Aber ich hab fast den ganzen Tag darüber nachgedacht, ob vielleicht ein winziger Funken Wahrheit in Björns Worten stecken könnte. Von wegen Menschenweibchen, die umworben sein wollen. Auch wenn mich dieses Grübeln nicht wirklich weitergebracht hat. Aber dass dann ausgerechnet Ilka mir auf die Sprünge geholfen hat, ist schon fast ein Witz. Marco aus der Klasse unter mir war hinter Ilka her wie der Teufel hinter der unschuldigen Seele. Zwar hielt sie ihn noch auf Abstand, aber man sah ihr an, dass sie seine Balzversuche nicht halb so unangenehm fand, wie sie tat. Immerhin war er zwei Jahre älter als sie, was an sich schon mal Eindruck machte. Außerdem standen ein paar Mädchen tatsächlich auf ihn. Für Björn und mich war er aber nur einer der größten Blödmänner, die es je gegeben hatte.
Und nun machte er sich praktisch in jeder Pause zum Affen. Für Ilka! Er lechzte nach
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