Als könnt' ich fliegen
was wir machten. Hauptsache, wir waren zusammen. Die stundenlange Shoppingaktion bei brütender Hitze hatte allerdings etwas Absurdes.
Das Wasser rieselte an mir hinunter und brachte meinen Körper allmählich wieder auf Normaltemperatur. Auch meine Gedanken wurden klarer. Außer uns war kaum jemand in der Stadt gewesen. Wer Zeit hatte und nicht komplett durchgeknallt war, der lag am Strand oder irgendwo an einem schattigen Plätzchen. Plötzlich dämmerte mir, weshalb Milena mich durch die Passagen geschleift hatte, als ginge es um ihr Leben. Ich wunderte mich nur, dass ich nicht früher draufgekommen war. Manchmal bin ich eben ein Trottel. Dann wurden meine Gedanken jäh unterbrochen: Ilka stand vor mir, frische Wäsche in der Hand.
Wenigstens war ich gerade in die Unterhose geschlüpft, was die Situation leicht entschärfte.
»Wie kommst du denn hier rein?«, blaffte ich sie an.
»Kann man bei euch die Türen nicht abschließen? Oder ist das in eurer Familie einfach nicht üblich?«
»Was willst du hier? Zieh ab!«
»Duschen. Was sonst?«
Mittlerweile glotzte sie mich völlig ungeniert an. Ich streifte mein T-Shirt über.
»Du siehst gar nicht aus«, sagte sie, »als ob du so was nötig hättest.«
Das klang halb wie ein Kompliment, halb wie eine Beleidigung. Ich war sicher, dass es letztlich mehr auf die zweite Interpretation hinauslief.
»Als ob ich was nötig hätte?«, fragte ich genervt.
»Die Erstbeste zu nehmen, die sich dir an den Hals wirft«, sagte sie. »Oder soll ich sagen: die Erstschlechteste?«
Noch während sie sprach, schlüpfte sie aus ihren Shorts, als sei das zwischen uns ganz selbstverständlich. Mit einer weiteren schnellen Bewegung hatte sie ihr Top abgestreift. Sie trug einen irrsinnig schmalen Slip und keinen BH . Ich guckte einen Augenblick zu lange hin. Der Überraschungseffekt.
»Was wird das denn jetzt?«
»Damit du mal siehst«, meinte sie, »was du alles versäumst. Bei einem Krüppel.«
Irgendwie schaffte ich es, äußerlich ruhig zu scheinen. »Da bin ich aber erleichtert. Viel ist es ja nicht.«
Mein Blick fiel auf ihre Füße.
»Was ist das denn?«, fragte ich. So was hatte ich noch nie gesehen. Ihre beiden kleinen Zehen standen steil in die Höhe. Es sah wirklich komisch aus. Ilka warf mir mit voller Wut ein Handtuch an den Kopf. Trotzdem war klar: Diese Runde ging an mich.
31. August, Samstag, 17 Uhr
Heute Abend treffe ich mich mit Tobias im Shark . Da spielt irgendeine kanadische Band. Eigentlich müsste ich mich drauf freuen, aber ich fühl mich ganz komisch, wie von innen hohl. Da ist gar kein Platz mehr für so was wie Freude.
Ich hab grad noch mal die letzten Seiten gelesen, und irgendwie schäme ich mich dafür. Das ist alles so albernes Zeug. Nur, weil es für mich was bedeutet, dass wir uns geküsst haben, heißt das schließlich noch lange nicht, dass es bei Tobias genauso ist. Ganz im Gegenteil: Mir ist vollkommen klar, dass dem nicht so ist. Garantiert hatte er schon viele richtige Sachen laufen, sodass er unser bisschen Knutscherei bis heute mit Sicherheit schon wieder vergessen hat.
Ich werde nicht gehen!
Ich erkannte sie schon von Weitem. Mein Herz schlug höher. Sie wartete vor dem Shark.
»Komm ich zu spät?« Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen.
»Ich wollte nur noch ein bisschen frische Luft schnappen.« Sie lächelte mich an. Es haute mich fast um. »Ich warte noch nicht lange.«
»Warst du schon drinnen?«, fragte ich. »Ist gerade viel los?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte noch nicht reingeschaut. Woher wusste sie dann, dass ich nicht drinnen war? Sie musste also doch schon ziemlich lange warten. Denn nur so konnte sie, ohne hineinzugehen, sicher sein, dass ich noch nicht da war. Zugegeben, das war sehr um die Ecke gedacht. Aber vielleicht dachte sie öfter so. Wir begrüßten uns mit einem kurzen Kuss. Wie bisher jedes Mal kam es mir vor wie der erste Kuss, voller Unsicherheit. Das war ungewöhnlich, aber irgendwie war es auch schön.
Björn spielte mit ein paar anderen am Kicker. Das Shark war so voll wie lange nicht mehr. Später sollte noch eine kanadische Rockband auftreten.
»Da wundert sich aber einer«, sagte Milena, sodass nur ich es hören konnte. Sie meinte Björn. Und sie hatte Recht: Er wunderte sich. Es war das erste Mal, dass Milena hier mit mir auftauchte. Er ließ einen anderen an seiner Stelle weiterspielen und kam zu uns.
»Hallo, ihr beiden. Schön, euch zusammen hier zu sehen. Seid ihr bei der
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