Als könnt' ich fliegen
sehen.
»Hey«, sagte er, »das ist fantastisch!«
»Finde ich auch«, gab ich zu. »Es ist cool.«
Durch den Garten schlich eine schwarze Katze. Das Mondlicht ließ ihre Bewegungen unwirklich erscheinen. Alles wie in Zeitlupe. Sie pirschte sich an irgendetwas heran.
Wir saßen eine Weile und schwiegen, beobachteten gedankenverloren die Katze. Mein Vater trank langsam sein Bier. Ich nahm einen letzten Schluck und stellte die fast noch volle Flasche beiseite. Ich wartete auf eine bestimmte Frage. Er musste sie ganz einfach stellen. Ich fand, er hatte eigentlich keine Wahl. Aber er nahm einen Umweg.
»Wie heißt sie?«, fragte er vorsichtig.
»Milena«, sagte ich.
»Das ist ein sehr schöner Name«, meinte er.
Die Katze verharrte in absoluter Bewegungslosigkeit.
»Mir gefällt er auch.« Es war nicht einfach, meine Begeisterung zu zügeln.
»Milena«, wiederholte er ganz langsam. Als wolle er den Klang des Namens genießen. »Kennst du sie schon lange?«
»Nicht richtig. Ich habe sie ein paarmal gesehen. Vorhin waren wir im Kino.«
Mit einem vollkommen überraschenden Sprung schlug die Katze zu. Im Mondlicht sah man etwas durch die Luft segeln. In hohem Bogen. Ein kleines quiekendes Ding. Kaum war die Maus wieder gelandet, stürzte die Katze sich ein zweites Mal auf sie. Das Quieken des Opfers wurde panischer.
»Milena hat einen Gehfehler«, sagte ich. Ich wollte ihm ersparen, dass er danach fragen musste. »Einen ziemlich auffälligen. Aber sie ist … unheimlich toll.«
»Meine erste Liebe war deine Mutter«, sagte er ruhig.
Erstaunt sah ich ihn an. »Wirklich! Aber ihr habt doch erst viel später …«
»Wir hatten uns viele Jahre aus den Augen verloren«, erklärte er. »Als wir uns später zufällig wieder trafen, waren die alten Gefühle sofort wieder da. Wir sind aufeinander los wie vom Magneten angezogen.«
Die Katze hatte die Maus noch ein paarmal durch die Luft geschleudert. Jetzt verschwand sie, ihr lebloses Opfer quer in der Schnauze. Ich hatte mal gelesen, dass Mäuse in Panik ein Hormon ausstoßen, das ihr Fleisch für Katzen schmackhafter macht. Deshalb quälen Katzen Mäuse so gern, bevor sie sie töten. Ich war froh, weder Maus noch Katze zu sein.
»Wie kommst du mit Ilka zurecht?«, wollte mein Vater wissen. Plötzlich wusste ich, dass diese Frage ihn aus dem Bett hierher getrieben hatte.
»Ich glaub, du kennst die Antwort«, sagte ich.
»Keine Aussicht auf Besserung?«, hakte er nach.
Stumm schüttelte ich den Kopf. »Aber an mir soll’s nicht liegen«, sagte ich und stand auf. Erneut spürte ich, wie sehr mein Vater zwischen allen Stühlen saß.
»Gute Nacht«, sagte ich. Ich hätte gern noch etwas anderes gesagt, aber mir fiel nichts Passendes ein, wie schwierig die Situation auch für unseren Vater war.
10
30. August, Freitag, 18 Uhr
Tobias hat heute vorgeschlagen, dass wir zusammen an den Strand gehen. Ich hab gesagt, ich hätte viel mehr Lust zum Shopping. Zum Glück hat er mir geglaubt. Es war elend heiß in der Stadt.
Tobias tat mir leid. Er hat sich treu und brav mit mir von Geschäft zu Geschäft gequält. Gekauft hab ich mir nur ein einziges neues T-Shirt. Für mehr hatte ich gar kein Geld.
Natürlich haben uns alle Leute angeglotzt. Die Frage, was ein Typ wie Tobias mit einer wie mir macht, konnte ich in jedem Gesicht lesen. Aber Tobias hat echt so getan, als ob er das gar nicht mitkriegen würde. Er ist völlig locker geblieben. Das war richtig gut.
Ich hab keine Ahnung, was mit mir los ist. Wenn ich nur an ihn denke, flattert alles in mir, und ich fühl mich zugleich total leicht. Fast, als könnt’ ich fliegen. Dabei kann ich nicht mal richtig gehen.
Ich schreib jetzt einfach mal was, schreiben tut ja nicht weh: Ich glaub, ich bin verknallt. Klingt doof: Verknallt! Verliebt? Das will ich nicht mal denken. Also verknallt. Weiß nicht, ob das wirklich so ist. Und wenn es so ist, weiß ich nicht, ob es wirklich gut ist. Hab aber gar keine Lust, drüber rumzugrübeln. Irgendwann kommt das sowieso von ganz allein.
Dafür kenn ich mich lange genug!
Übrigens: Tut doch weh!
Als ich aus der Stadt kam, war ich völlig fertig. Ich duschte länger und kälter als je zuvor. Ich vermisste Milena schon jetzt. Obwohl wir uns erst vor einer Viertelstunde getrennt hatten. Und obwohl ich sie schon nach dem Abendessen wieder sehen würde. Dann waren wir im Shark verabredet.
Wenn Milena bei mir war, hatte ich ein Gefühl in mir, als schwebte ich. Dabei war es egal,
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