Als Mrs Simpson den König stahl
die Perücke.
Zum Abendessen auf der Nahlin wurden der König von Griechenland und sein Gefolge erwartet; von einer nahegelegenen Insel aus sollten zwei Ruderer der Kindermädchenboote sie in einer quadratischen scharlachroten Gondel übers Wasser bringen. Der Dudelsackpfeifer Edwards VIII . stand an Deck und spielte »Over the Sea to Skye«, eine der wenigen Melodien aus seinem begrenzten Repertoire.
Als letztes Mitglied der Schiffsgesellschaft erschien der König von England an Deck. Er trug eine flotte weiße Flanellhose, einen Blazer und eine Segelmütze und sah hervorragend aus. Ebenso glamourös wirkte Wallis in ihrem knöchellangen weißen Faltenrock und einer cremefarbenen, kurzärmeligen Seidenbluse mit einem quadratischen Marinekragen, der von hell
blauen Streifen gesäumt war. Evangeline hatte Wallis auf der Kreuzfahrt nicht zwei Mal in derselben Aufmachung gesehen, bis auf die Mittagsmahlzeit, wenn zum Schutz gegen die grelle Sonne ein Hut aus weißer Broderie anglaise in Erscheinung trat, der einem Babyhäubchen glich. Unter der Zickzackborte nahm sich Wallis' Erwachsenengesicht einfach absurd aus. Eines Morgens saß die Haube schon beim Frühstück an ihrem gewöhnlichen Platz, und als Lady Diana ihre Augen von der Haube über den Tisch zu Evangeline schweifen ließ, trafen sich die Blicke der beiden Frauen eine Sekunde lang in mitwisserischer Heiterkeit, die einem gemeinsamen Gefühl von Verachtung entsprang. In Evangeline wallte kurz die Hoffnung auf, diese schöne, einschüchternde, gescheite und spaßige Frau könnte den Wunsch haben, ihre Bekanntschaft zu etwas auszuweiten, das an Freundschaft grenzte.
Während der gesamten Kreuzfahrt war Wallis so sehr mit dem König befasst, dass Evangeline sich immer wieder fragte, was sie, Evangeline, an Bord der Nahlin überhaupt verloren hatte. In den langen, stickigen Nächten in der alten Bibliothek überlegte sie, ob sie die Einladung, an der Kreuzfahrt teilzunehmen, vielleicht nur Wallis' Schuldgefühlen zu verdanken habe. Die Vorstellung, eine Art bemitleidenswertes Geschöpf zu sein, ein Fall für die Wohlfahrt, wie Lady Myrtle es so grausam definiert hatte, stärkte nicht gerade Evangelines Selbstbewusstsein. Im Gegenteil, statt die Kreuzfahrt genießen zu können, verschärfte das Gefühl der Ausgrenzung nur ihren Groll gegen die alte Schulkameradin. Evangeline war entschlossen, Lady Diana weiter freundliche Avancen zu machen.
Während der Dudelsackpfeifer seine klagende Melodie weiterspielte, nahm Sam zusammen mit den anderen Matrosen stramme Haltung an. Seine Gesichtshaut hatte wieder ihre gewöhnliche fleckenlos blasse Färbung angenommen. Der König von Griechenland und seine Leute hatten die Nahlin fast erreicht, und Wallis wollte aufstehen, um sie zu begrüßen. Doch der Saum
ihres Rocks hatte sich an einem Stuhlbein verfangen, sodass sie unbeholfen hintenüberfiel. Sam stürzte zum Stuhl, um den Stoff zu lösen, aber jemand anderes kam ihm zuvor. Der König von England kroch auf dem Boden umher und zerknitterte dabei die Knie seiner frisch gewaschenen Hose. Wallis zischte ihn so laut an, dass jedermann an Deck es hören konnte.
»David! Was tust du da? Das ist der seltsamste Auftritt, den ich je gesehen habe! Bist du verrückt?« Sie ergriff seine Hand und umklammerte sie fest.
Der König erhob sich. Ihr heftiger Vorwurf spiegelte sich in seiner bedrückten Miene, und er nahm einen von Mrs Simpsons Fingern und führte ihn an seinen geöffneten Mund, um ihn beschwichtigend zu küssen.
Sowohl die Gäste wie auch die Besatzung hatten dem demütigenden Vorfall beigewohnt und fragten sich, wohin all die königliche Unterwürfigkeit noch führen mochte. Die Aufmerksamkeit, die die ausländische Presse dem König und Mrs Simpson widmete, könnte man der britischen Öffentlichkeit vielleicht noch eine Weile vorenthalten, doch solch kleine öffentliche Indiskretionen wie jene, die man an Deck der Nahlin miterleben konnte, trugen dazu bei, dass das Gerede immer weitere Kreise zog.
Nach einem langen, sonnigen und überwiegend trägen Monat ging die Kreuzfahrt schließlich zu Ende, und die Gäste zerstreuten sich in die verschiedensten Richtungen. Die Pracht des Parthenons, die ihr an einem Tag, da sogar sie den langen Anstieg auf den Gipfel der Akropolis bewältigt hatte, zuteil wurde, war für Evangeline die schönste Ferienerinnerung. In der schweißtreibenden Hitze des letzten Augusttages hatte sie die Gemäuer des staunenswerten
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