Als Mrs Simpson den König stahl
ersten Landfahrt zu verhelfen«, hatte er mit einem bedauernden und zugleich dankbaren Lächeln gesagt.
Ruperts Eltern hatten ihm den blassblauen Talbot zu seinem Geburtstag vor fast einem Jahr gekauft, doch er stand noch immer in der Garage von Cuckmere. Rupert war noch nicht dazu gekommen, Autofahren zu lernen.
»Ich werde Hooch bitten, den Motor zu überprüfen; der Wagen wird euch beiden wunderbar gerecht werden.«
Dass die Blunts May den neuen Wagen anvertrauten, war ein Ausdruck der Zuneigung, die sie zu ihr gefasst hatten. Julian hatte das Mitgefühl erlebt, mit dem die gesamte Familie der jungen Angestellten begegnete – nach dem Verlust ihrer Mutter und zu einer Zeit, da sie und ihr Bruder so weit von ihrem ver
bliebenen Elternteil entfernt waren. Alle, selbst Bettina und Rupert, waren die Freundlichkeit selbst gewesen. Und Lady Joan hatte ihren eigenen Kummer für eine Weile hintangestellt und sich darauf konzentriert, sich um die mutterlose junge Frau in ihrem Haus zu kümmern.
Julians Reaktion auf May wurde allmählich kompliziert. Bei Freundschaften mit Frauen neigte er dazu, hin und her zu schwanken. Er liebte die Herausforderung, eine Frau zu erobern, doch sobald er sie erobert hatte, ließ er sie fallen. Und obwohl ihn dieses Verhaltensmuster beschämte, hatte er zweifellos auch mit den Gefühlen der jungen Chauffeurin gespielt. Mays große Augen und ihre ungewöhnliche olivfarbene Haut faszinierten ihn; aber er musste sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass alles dagegen sprach, diese Gedanken weiterzuverfolgen. Zunächst galt es, eine professionelle Grenze zu respektieren: May war eine Angestellte der Blunts. Weder Sir Philip noch Lady Joan hatten ihn davor gewarnt, sich ihrer Fahrerin gegenüber allzu freundlich zu verhalten. Doch Julian wollte sie nicht in eine Lage bringen, in der sie das Gefühl gehabt hätten, eine Bemerkung machen zu müssen. Zweitens ließ sich nicht leugnen, dass er May gegenüber einen Bildungsvorteil hatte, auch wenn er sich nicht anmaßte, ihr gesellschaftlich überlegen zu sein. Und schließlich war da noch Charlotte, seine Freundin. Nein, es bestand kein Zweifel. Für ein romantisches Unterfangen war May hoffnungslos ungeeignet. Und doch. Trotz ihrer Anmut und ihrer Willigkeit legte sie mitunter ein unbeugsames Vertrauen in ihre Ansichten an den Tag, das ihn in seiner Zuneigung zu ihr noch bestärkte. Jedenfalls hatte sie dafür gesorgt, dass er seine voreilige Annahme, der Aufenthalt in Wigan werde ihm die Erlebnisse und die Informationen zuteilwerden lassen, nach denen es ihn verlangte, in Zweifel zog. Als er ihre Tüchtigkeit am Steuer von Ruperts nagelneuem Auto beobachtete – vor lauter Konzentration krauste sie die Stirn –, kam ihm in den Sinn, dass »wendig« das beste Wort war, um
sie zu beschreiben. Doch so »wendig« sie auch sein mochte, er wurde den Gedanken nicht los, wie schön es wäre, sie zu küssen.
Als Julian die Reise durch die Bergarbeiterstädte zwischen Liverpool und Manchester geplant hatte, konnte er nicht voraussehen, dass das Gefolge des örtlichen Bürgermeisters zu einem Fußballspiel in Wigan weilen und in dem einzigen halbwegs anständigen Hotel der Stadt absteigen würde. Der Bürgermeister sei wohl größenwahnsinnig geworden, hatte er dem Empfangschef zugezischt, als man ihm sagte, dass die beiden Einzelzimmer, die er reserviert hatte, nicht länger verfügbar seien. Es war spät, und er bekam es schon mit der Angst zu tun, als May ihm versicherte, dass es ihr egal sei, wo sie für die eine Nacht unterkommen würden.
Erleichtert darüber, dass sie kein großes Aufheben um die Sache machte, war Julian mit May in einen Pub gegangen, um bei einem Pint zu beratschlagen, was sie als Nächstes tun sollten. Sie waren mit einem Mann ins Gespräch gekommen, der an einem mit Bierabdrücken verklebten Tisch in der Nähe des Tresens saß. Mit seinem kurzen Haar, seinem kleinen Schnurrbart und seinem direkten Blick wirkte er gut zehn Jahre älter als Julian, sah aber doch ganz anders aus als all die verhärmten Männer im Pub. Er stellte sich vor. Er hieß Peter Grimshaw und war Professor für Sozialgeschichte an der Londoner Universität. Schon bald stellte sich heraus, dass er und Julian dieselben Bücher gelesen hatten. Das Gespräch wandte sich ohne Umschweife der Politik zu. Peter erzählte ihnen, er sei schon zwei Monate früher in den Norden gekommen, zusammen mit einem befreundeten Schriftsteller, Eric Blair, der für
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