sollen?»
Mutter sah sich im Zimmer um. «Natürlich nicht, Lieber. Alle natürlich nicht. Gloria wird nicht auf einer einsamen Insel verkümmern wollen. Die zieht es sicher wieder nach London. Nein -bloß du und ich und die Kinder.»
«Liebe Clementine, ich glaube, du bist übergeschnappt. Du verläßt uns mir nichts, dir nichts, kommst nach sechs Monaten hier hereingeplatzt, bist noch keine zwölf Stunden im Haus und beschließt einfach, uns alle auf eine blöde Insel an der französischen Küste zu verfrachten.»
«Also, reg dich nicht auf, Harry, noch ist es ja nicht soweit. Wir können es uns ja noch überlegen, nicht wahr?»
«Überlegt wird gar nichts», sagte Vater. «Wir bleiben, wo wir sind. Und damit basta.»
«Komm, Vi, wenn wir noch zur Christmette wollen, wird es jetzt höchste Zeit», sagte Mutter.
«Ein gesegnetes Christfest», sagte der Pfarrer nach dem Gottesdienst. «Meine liebe Clementine, was für eine erfreuliche Überraschung, Sie gerade jetzt wieder bei uns zu haben. Viola, nicht wahr, das ist schön? Nun kannst du dich auch mit deiner Mutter über dein Pläne beraten.»
Unter dem funkelnden Sternenhimmel der Weihnachtsnacht gingen wir Arm in Arm heimwärts. «Was sind denn das für Pläne, von denen der Pfarrer sprach, Viola?» fragte Mutter.
«Ja, also, es handelt sich um Clifton Chisholm», stotterte ich los.
«Ja, willst du denn etwa bei ihm in der Bank arbeiten?» fragte Mutter erstaunt.
«Nein, er hat mir einen Antrag gemacht.»
«Er hat dir einen Antrag gemacht?» fragte Mutter verblüfft.
«Ja, wir haben uns verlobt», sagte ich.
Mutter sagte kein Wort. Zu Hause in der Diele nahm sie den Hut ab und sah mir gerade in die Augen. «Viola», sagte sie, «diesen Schwachkopf heiratest du nicht.»
Ich war wütend und sagte kalt: «Vielleicht interessiert es dich, daß Vater seine Einwilligung bereits gegeben hat.»
«Dein Vater würde dich auch Jack the Ripper heiraten lassen, wenn er sich damit seine Ruhe kaufen kann», sagte sie lachend.
19
Fünf Minuten bevor mein Wecker morgens richtig loslärmt, warnt er mich erst immer mit einem hellen Ping. So war es auch am ersten Feiertag. Und ehe ich noch richtig wach war, öffnete sich auch schon die Tür, und Mutter kam herein mit einem Tablett, das sie vor mich hinstellte. Verlockend dampfte es aus der Teekanne, und der Toast duftete frisch. «Laß dir nur Zeit, mein Herz. Ich habe unten schon alles vorbereitet.»
«Wie schön, daß du wieder da bist, Mutter», sagte ich. Ich ließ mich wieder in die Kissen sinken und lächelte Mutter zu.
Die beiden Weihnachtstage waren ein einziges Schwelgen. Mutter verstand es schon, es uns schön und gemütlich zu machen.
Der dritte Feiertag war ein Sonntag, und wir gingen alle zusammen zum Morgengottesdienst. Nur Trubshaw protestierte erbittert, weil er mit seiner Eisenbahn spielen wollte.
Dicht neben unserer Kirchenbank befand sich ein Stein mit der Inschrift:
und darunter, in der schwungvollen Schrift alter Zeit, die Worte: .
Anne Turner. Hier hatte auch sie einst als jung verlobtes Mädchen gesessen und klopfendenHerzens nach der Predigt auf den Aufruf ihres Namens gewartet.
«Hier endet der Text für den heutigen Sonntag», schloß der Pfarrer jetzt. Langsam und bedächtig glättete er das Lesezeichen und schloß die Bibel. Er ordnete die Falten seines Talars, öffnete ein Buch, räusperte sich und begann: «Ich verlese jetzt die Aufgebote.»
Ich sah mich in der Kirche um und beneidete die Paare, deren Namen aufgerufen wurden. Traurig und enttäuscht verließ ich mit den Meinen die Kirche.
Mutter blieb zurück und sprach ein paar Worte mit dem Pfarrer. Dann unterhielt sie sich mit der alten Klatschtante Miss Dove. Vater wurde ungeduldig, denn er war hungrig. «Deine Mutter will scheint’s alles nachholen, was sie in den letzten sechs Monaten versäumt hat.»
Als Mutter uns einholte, sagte sie fröhlich: «Hier scheine ich ja wirklich allerhand versäumt zu haben!»
«Hat Trubshaw vielleicht auch noch die Kollekte geplündert oder Persephone auch dem Pfarrer einen anonymen Brief geschickt?» fragte Vater mißtrauisch.
«Nein, diesmal betrifft es Gloria.»
«Gloria? Die geht doch kaum in die Kirche», meinte Vater.
«Aber hast du denn gar nichts von ihrer wilden Affäre mit Chisholm gehört?»
Jetzt blieb Vater empört stehen. «Also Clementine, jetzt halt aber mal die