Als Mutter streikte
klingelte wieder einmal, und Johnnie war am Apparat. «Hallo, Vi. Wann fahrt ihr?»
«Hallo, Johnnie. Samstag in aller Herrgottsfrühe.»
«Du, Vi, ich möchte dich gern noch einmal sehen. Ich muß noch einmal mit dir sprechen.»
Ach du liebe Zeit, dachte ich. Ich wußte schon... «Gut, komm doch morgen abend her. Das Haus sieht allerdings furchtbar aus.»
Es klang sicher nicht gerade begeistert, aber Johnnie war ganz aufgeregt. «Ja, also, Vi, stell dir vor, mein Vater will mir nach der Ernte den Hof übergeben und mit meiner Mutter nach Derby ziehen.»
«O Johnnie, das freut mich aber für dich.»
«Ja, damit ändert sich natürlich alles, weißt du. Wenn du wolltest -» Er hielt inne. «Also dann bis morgen, Vi.» Und er hängte auf.
Ich hätte das Treffen gern vermieden.
Am nächsten Tag ging ich, um mein Gewissen zu beschwichtigen, morgens noch einmal zu Miss Buttle.
Ich erkannte sie kaum wieder. Sie war ganz zusammengefallen und ging gebeugt in ihrer Wohnung herum. Sie umschloß meine beiden Hände mit den ihren und strahlte. «Viola, das ist aber lieb von dir. Komm herein, setz dich.»
Ich umarmte die kleine Person, da ich in diesem Augenblick doch wieder die alte Zuneigung zu ihr empfand. «Wie geht es denn, Miss Buttle?» fragte ich.
«Nun, es geht so, bis auf das Herz.»
«Ach - das tut mir aber wirklich leid.»
In der Wohnung sah es wieder hell und gemütlich wie früher aus. Wir saßen auf dem Sofa. Sie lächelte mich an. «Nun erzähl mir doch mal ein bißchen von dir und von Sark. Ich will uns zwischendurch nur rasch eine Tasse Tee machen.»
Als sie den Tee brachte, sagte ich: «Ach, liebe Miss Buttle, hoffentlich haben Sie mir meine Ungezogenheit verziehen. Sonst wäre ich sehr unglücklich. Wir waren doch immer so gute Freundinnen. Schade, jetzt werde ich Sie gar nicht mehr besuchen können. Hoffentlich sind Sie auch nicht zu einsam hier oben.»
«Nein, mein Kind. Dienstags kommt immer Miss Crayshaw, und auf dem Marktplatz gibt es eigentlich immer was zu sehen.»
«Ja», sagte ich, «das ist wahr», und stand auf. «Das ist ein hübscher Blick von hier oben.»
Heute war Freitag und Markttag. Unten herrschte ein lebhaftes Treiben. Gegenüber, vor dem Schaufenster von Burrow, dem Fischhändler, stand ein junger Mann - ausgerechnet Johnnie Wrighton. Von hier oben sah er wirklich recht stattlich aus. Zum erstenmal hatte ich das Gefühl, daß er mir fehlen würde. Besonders wenn ich an Halloween dachte. Da oben auf Harker’s Clump hatten wir uns sogar geküßt, und das hatte nicht nur an den Bloody Marys gelegen. Und plötzlich freute ich mich, daß wir uns am Abend noch einmal sehen würden.
Miss Buttle trat neben mich ans Fenster. «Da unten ist ein munteres Treiben wie auf Brueghels Bildern. Nur die Autos stören. Ach, da ist ja auch der junge Wrighton», sagte sie und zeigte hinunter. «Ein besonders netter Junge.»
«Ja, seit dem Halloween-Tanzfest habe ich ihn öfter getroffen. Ich hab ihn auch schrecklich gern.»
«Junge Männer sind heute selten so frisch und natürlich wie er. Das Mädchen, das den mal bekommt, kann sich freuen.»
Zum Abschied drückte mir Miss Buttle einen Kuß auf die Stirn und strich mir übers Haar. Verschmitzt lächelnd sagte sie: «Na, wie wär’s denn mit Johnnie Wrighton? Aber du gehst ja fort von hier.»
Natürlich hatte ich nicht erwartet, daß meine Mutter, als ich ihr Johnnies Abschiedsbesuch ankündigte, in freudiges Entzücken ausbrechen würde. Im Gegensatz zu Miss Buttle schien sie nichts Besonders an «diesem Bauernjungen», wie sie ihn nannte, zu finden. Dann schnaubte sie los: «Also, da hört sich ja wirklich alles auf. Dein Vater beschließt kurzerhand, daß er von nun an auf Sark leben will. Und was kommt dabei heraus? Alles und jedes bleibt an mir hängen. Ich muß das Haus verkaufen, ich muß die ganzen Sachen verpacken, den Umzug überwachen und mich um tausend Kleinigkeiten kümmern. Und dann, wenn das Chaos seinen Höhepunkt erreicht hat, das Haus auf dem Kopf steht und ich nicht mehr weiß, wo vorn und hinten ist - dann kommst du noch angelaufen und willst eine Party geben.»
«Es ist doch gar keine Party. Johnnie will sich nur kurz von mir verabschieden. Soviel Freunde habe ich ja hier gar nicht.»
Sie sah mich scharf an. «Weißt du, Vi, manchmal fange ich an, mir Sorgen um dich zu machen. Du hast nun beinahe achtzehn Jahre hier verbracht, und dann gibt es nur einen Jungen, der sich von dir verabschieden will?»
Gegen Mutter
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