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Als Mutter verschwand

Als Mutter verschwand

Titel: Als Mutter verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kyung-Sook Shin
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gleich unter dir am Hang kriegen, habe ich dich finster angeschaut und gesagt: »Damit ich auch noch für dich springen kann, wenn ich tot bin?« Ich weiß noch genau, dass ich das gesagt habe. Sei nicht böse, Tante. Ich habe lange drüber nachgedacht, und ich meine es wirklich nicht böse. Ich will einfach nur nach Hause und dort meine Ruhe finden.
    Oh, die Schuppentür ist offen.
    Der Wind zerrt an der Schuppentür, als ob er sie herausreißen will. Auf dem Podest, wo ich so gern gesessen habe, ist eine dünne Eisschicht. Wenn sich da jemand hinsetzen wollte, ohne achtzugeben, würde er glatt runterrutschen. Chi-Hon hat immer hier im Schuppen gelesen – und sich von Flöhen beißen lassen! Ich wusste, dass sie sich mit einem Buch hier verkroch, zwischen dem Schweinestall und dem Ascheklo. Ich habe sie in Ruhe gelassen. Wenn Hyong-Chol gefragt hat, wo sie ist, habe ich gesagt, ich weiß es nicht. Weil ich’s gern gesehen habe, dass sie liest. Weil ich nicht wollte, dass sie gestört wird. Auf der Abdeckung vom Schweinestall war Stroh aufgehäuft. Eine Seite hatte ein Huhn übernommen; es hatte dort sein Legenest. Niemand fand das Kind, das dort im Stroh saß und las und sich Spucke auf die Flohbisse tat, damit sie nicht so juckten. Sie muss ihren Spaß gehabt haben dort im Versteck, während ihr Bruder alle Türen aufriss und nach ihr suchte. Und dieses Huhn, so was von eigen! Es legte nicht, wenn wir ihm keine Nesteier ins Nest legten. Und es konnte beim Legen das Rascheln nicht ertragen, wenn Chi-Hon ihre Buchseiten umblätterte: Einmal hat es so laut protestiert, dass Hyong-Chol schließlich seine Schwester fand. Was sie wohl gelesen hat, dort im Schuppen, unter sich ein grunzendes Schwein, über sich das Huhn, das sich beschwerte, und um sich herum das Stroh, die Hacke, den Rechen, die Schaufel und alle möglichen anderen Gerätschaften?
    Im Frühling lag die Hündin mit ihren frisch geworfenen Jungen unter dem Maru, wo die Winterschuhe der ganzen Familie herumflogen, und knurrte schon, wenn nur das Regenwasser vom Dach tropfte. Diese gutmütige Hündin wurde ganz wild, wenn sie Junge hatte. Niemand, der nicht zur Familie gehörte, durfte sich ihr nähern. Wenn sie geworfen hatte, malte Hyong-Chol immer das Schild am Tor neu: »Warnung! Bissiger Hund!« Einmal habe ich ihr, als sie nach dem Fressen schlief, ein Junges weggenommen. Ich habe es in einen Korb getan, mit einem Tuch zugedeckt, ihm außerdem noch die Hand über die Augen gelegt, und es der Tante gebracht.
    Â»Warum hältst du ihm denn die Augen zu, Mama? Es ist doch dunkel?«, hat meine jüngere Tochter, die mir folgte, gefragt. Sie hat ganz verwirrt geguckt, als ich ihr erklärte, dass sich das Hündchen sonst den Weg nach Hause merken würde.
    Â»Auch im Dunkeln?«
    Â»Ja, auch im Dunkeln!«
    Als die Hündin mitkriegte, dass ein Junges weg war, wollte sie nicht mehr fressen, lag nur noch herum, als ob sie krank wäre. Sie musste aber doch fressen, um genug Milch für die anderen Jungen zu haben! Es sah aus, als ob sie sterben würde, wenn ich nichts unternahm. Also habe ich das Junge wiedergeholt und neben sie gelegt, und da hat sie wieder gefressen. So war sie, die Hündin, die unterm Maru gewohnt hat.
    Ach, es hört überhaupt nicht auf mit diesen Erinnerungen; sie schießen hier aus dem Boden wie Pflanzensprösslinge im Frühling. Alles, was ich vergessen hatte, ist plötzlich wieder da. Von den Reisschälchen auf dem Küchenbord bis zu den großen und kleinen Tontöpfen auf dem Gewürzpastensims, von der schmalen Holzstiege rauf auf den Dachboden bis zu den Kürbisranken, die die Lehmmauer hinaufkletterten.
    Du darfst das Haus nicht so auskühlen lassen.
    Wenn es dir zu viel ist, bitte unsere jüngere Schwiegertochter um Hilfe. Sie hat sich immer sorgsam um ihr Haus gekümmert, auch wenn es ihr und unserem Sohn gar nicht gehört. Sie hat einen Blick für solche Sachen, und sie ist gewissenhaft und warmherzig. Obwohl sie arbeiten geht, ist ihr Haus immer blitzsauber, und dabei hat sie keine Hilfe. Wenn es dir zu schwer ist, das Haus in Schuss zu halten, red doch mal mit ihr. Ich sage dir, alles, was sie anfasst, wird wieder wie neu. Weißt du noch, wie sie in dem Sanierungsgebiet dieses Haus gemietet haben, an dem der Eigentümer nichts mehr machte? Sie hat es selbst instand gesetzt. Sogar den

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