Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Sie braucht einen ehrlichen und offenen Fixpunkt, einen Leuchtturm, der ihr erst später sagen wird, dass sie gerade scheiße drauf ist. Sie wird dieser Person unendlich dankbar sein.
Doch bis zur Linderung der Schmerzen war es ein langer und beschwerlicher Weg. So oft habe ich überlegt abzustillen. Auch weil ich endlich mal wieder eine rauchen und etwas trinken wollte. Ich war so ungeduldig und konnte nicht abwarten, endlich wieder ins echte Leben zurückzukehren. Das Leben mit Baby ist zwar auch ziemlich echt, aber es findet in einem Paralleluniversum statt, und man muss darauf hinarbeiten, dass das alte und das neue Universum möglichst viele Schnittpunkte bekommen. Denn beide haben gute und schlechte Seiten.
Das erste Vierteljahr verging rasend schnell. Bereits nach drei Wochen war ich das erste Mal wieder auf einer Party und tanzte wild. Ich hatte schnell gelernt, glücklich darüber zu sein, was gerade ist, und nicht dem hinterherzuweinen, was mal war. Es ist ja nicht so, dass ich früher zufriedener gewesen wäre, als ich es heute bin. Eher im Gegenteil. So richtig schön und glücklich wurde es eben erst, als Sophie die Pflegestufe drei verließ und nur noch Pflegestufe zwei hatte. Sie brauchte keine Rundumbetreuung mehr mit ständigem Bereitschaftsdienst und Beatmungsgerät neben dem Bett, sondern konnte auch mal alleine rumliegen. Sie schlief auch ohne Schreien ein, und Essen ging auf einmal problemlos und machte ihr Spaß.
Ich hatte meine Feuerprobe bestanden. Im Traum kamen drei richtig krass Erwachsene vom Himmel herabgeschwebt und überreichten mir meine Mitgliedsurkunde inklusive Anstecknadel des Vereins Vollwertig Erwachsener. Zurzeit habe ich auch große Lust, irgendwann mal eine leitende Funktion in diesem Verein zu übernehmen. Ich war nicht vorbereitet auf die Wucht, mit der das Erwachsensein mich traf, doch als sich wirklich schnell alles leichter gestaltete, atmete ich erleichtert auf. Es bleibt also doch nicht für immer so. Das war auch der Moment, als ich beschloss, nach einem halben Jahr wieder in die Uni zu gehen. Denn ich denke, wenn man zu lange damit wartet, wieder in die Erwachsenenwelt hinauszutreten, wird man irgendwann selbst zum Kind. Dann will man plötzlich riesige, selbst gestrickte Mützen mit den dazu passenden Handschuhen tragen. Oder beschließt, wieder Kinderwörter in seinen Sprachschatz zu übernehmen. Ich hingegen bin völlig angekommen im VVE : Vorgestern habe ich mir einen glitzerpinken Terminplaner für all meine wichtigen Verabredungen gekauft. Er ist zwar noch leer, aber ich habe schon eine Diddlmaus reingemalt.
KONSUM
DIE FRAU MIT O ZIEHT UM, HAT RESPEKT VOR OBERARMEN UND WOHNT DER ÜBEREIGNUNG EINER WINDELTORTE BEI
Mittlerweile bin ich eine richtige … Oma. Es fällt mir zwar verdammt schwer, dieses Wort auszusprechen. Meist sage ich lieber »eine Frau mit O«. Aber ja, doch, es ist unleugbar: In meinem Leben gibt es jetzt die kleine krummbeinige Sophie, Tochter meiner Tochter. Und ich bin die Mutter dieser Tochter. Also: Oma. Komm klar, sage ich mir immer wieder.
Und ich komme klar. Ich trage keinen grauen Haarknoten und besitze auch keinen Ohrensessel, in dessen Ritzen ich Himbeerdrops versteckt halte. Ich bin gut zu Fuß und neugierig, wie es so läuft, Hannas und Oscars neues Sophie-Leben. Und weil ich eh gerade Zeit habe, um dieses Buch zu schreiben, gehe ich den dreien einfach hinterher. Nach Leipzig. In dieser coolen unfertigen Stadt suche ich mir ein WG -Zimmer. Eine Mitbewohnerin borgt mir ihren alten Schreibtisch, mein Zimmernachbar seine Stehlampe. Ich revanchiere mich mit Weißwein und Anpassung an die WG -Regeln.
Es läuft wunderbar. Fast jeden Tag setze ich mich brav an meinen geliehenen Schreibtisch und tippe bis zum frühen Nachmittag auf meinem Laptop herum. Habe ich mal keine Lust, gehe ich ins Café und gaffe. Nachmittags sehe ich meist Hanna und Sophie und immer mal wieder auch Oscar. Ich schaue mir an, wie es ist, dieses Leben meiner Tochter mit ihrer Tochter und ihrem Freund. Sophie fängt an, mich zu erkennen. Sie lässt sich von mir herumtragen, sich den Hintern abwischen und auch ins Bett bringen. Sie lacht mich an, wenn ich ihr in den Babybauch pieke, und kneift mir zum Dank in die Nase. Wenn ich sie vorher lieb gehabt habe – jetzt fange ich an, sie zu lieben.
Hanna und ich sehen uns fast jeden Tag. Wir reden so viel miteinander wie seit Jahren nicht mehr. Ich habe einen Höllenrespekt vor Hannas Armmuskulatur, mit deren Hilfe
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