Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Dass zehn Jahre später im stilvollen Leipziger Café Grundmann exakt dieser Schund mit großer Geste überreicht werden könnte, wäre mir nicht eingefallen.
Aber so ist es. Die lieben Kolleginnen ziehen ihrer Wege. Und die Mutter sitzt da. Im Arm ihr Baby und vor sich auf dem Tisch, zwischen zerknüllten Papierservietten, eine einen Meter hohe Nutzlosigkeit. Was soll sie anderes tun, als die Kellnerin zu bitten, ein Taxi herbeizutelefonieren? Und genau das tut sie.
Weiß Gott, es gibt dezentere Geschenke. Zum Beispiel einen Umschlag, mit dessen Inhalt die junge Mutter erwerben kann, was sie gerade braucht fürs Kind. Aber so etwas macht halt keinen Spaß. Ein Geschenk muss sichtbar sein, und es soll irgendwie auch die Erfahrungen und die Haltung der Schenkenden gegenüber dem Neugeborenen zum Ausdruck bringen. In diesem Fall lautet sie ungefähr: Wir sind mit fünfzig raus aus der Kinderphase und wissen deshalb auch nicht, was ihr jungen Dinger so braucht. Nimm denn also diese Windeltorte!
Auch meine Geschenke sollten etwas meinen. Ich habe Sophie Weleda-Kosmetik geschenkt – und es war mir egal, ob sie oder Hanna das Zeug verbrauchen. Außerdem habe ich Sophie die erste Babydecke von Hanna geschenkt: hellblau mit weißen Sternen – jene Babydecke, die schon meine Babydecke war. Die also ganz, ganz alt ist und heilig. Ein echtes Muttergeschenk.
Dann habe ich Sophie eine Babynagelschere geschenkt. Die Funktionalität des kleinen Gebrauchsgegenstands hatte mich wegen der elegant abgerundeten Spitzen überzeugt. So etwas Schönes hatten wir früher nicht. Und ich habe Sophie Löffel geschenkt, die sich bei Hitze verfärben. Ist der Brei zu heiß, wird das gelbe Plastik grell orangefarben. Wie geil!, dachte ich, als ich mich nach all den Jahren mal wieder in der Babyabteilung im Drogeriemarkt umschaute: Löffel, die sich verfärben! Das Wort »Schund« fiel mir erst wieder ein, nachdem Hanna sowohl die formschöne Schere als auch die verrückten Löffel bei uns zu Hause »vergessen« hatte.
Dabei kann sie noch froh sein. Wir hätten ihr auch eine handgefilzte Mutterpasshülle für dreißig Euro schenken können. Quasi als Ausdruck dafür, wie begrenzt ihre Welt ab dem Tag von Sophies Geburt sein wird. Oder die Rassel »Carlotta« aus 925er Silber zu zweihundertzwanzig Euro; Namensgravur gegen Aufpreis möglich. Stattdessen gab’s ein Zehn-Jahres-Buch, also eine Art Kalender, in den sie Sophies ersten Zahn oder auch den Maserntermin vermerken und wahlweise beweinen oder bejubeln kann. Sie kann echt froh sein, dass es keine Babytorte geworden ist. Womöglich ist sie das auch.
Als ich neulich auf Sophie aufgepasst habe, nutzte ich die Gelegenheit, das Kinderzimmer genauer unter die Lupe zu nehmen. Seltsamerweise verlangt ja irgendein seltsamer Kodex, dass man bei seiner erwachsenen Tochter komplett ignoriert, wie unordentlich und, ja, mitunter auch ein wenig schmutzig es in deren Wohnung aussieht. Früher, als sie ihr Zimmer noch bei uns zu Hause hatte, hätte ich reinkommen und laut »Hier sieht’s ja aus!« sagen dürfen. Heute lege ich vor Betreten der Wohnung meine Mutterscheuklappen an, ignoriere den Keksklebrest an meiner Kaffeetasse und tue beim Besuch der Toilette so, als sei das Putzen derselben eine dumme Angewohnheit des zurückliegenden Jahrhunderts.
Diesmal aber hatte ich Zeit und freie Bahn, Sophie und ich waren allein in der Wohnung. Ich marschierte also mit ihr ins Kinderzimmer. Dort, in einer Ecke, lagen sie, die ungeliebten Geschenke. Diverse staubige Teddys. Reprints von Bilderbüchern, die eher künstlerisch denn kindgerecht aussahen. An dem sauteuren Lauflernwagen, den Stefan und ich Sophie zu Weihnachten geschenkt hatten, war sogar noch das Schleifenband dran. Und irgendwo dazwischen sah ich sie: weiße Sterne auf hellblauem Grund, meine alte Babydecke. Schnief!
Es gehört zur Stellenbeschreibung einer Frau mit O, über derlei Brutalitäten hinwegzusehen. Ebenso, den Reflex zu unterdrücken, die Decke aus dem ganzen Gemurkse hervorzuziehen und in Sicherheit, also wieder zurück nach Hause zu bringen. Sehr hilfreich, ja geradezu therapeutisch ist der Gedanke daran, wie man selbst einst die mannigfachen Geschenke der eigenen Kinder vernachlässigt hat. All die Fensterbilder und Knetekreationen. Wie man das schöne und sehr große Geburtstagsbild mit den Marienkäferchen erst ganz nach oben aufs Regal gelegt, irgendwann den Staub davon abgepustet und es schließlich dem Papiermüll
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