Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
übergeben hat. Hat das Kind das mitgekriegt? Manchmal ja. Und war das schlimm? Wahrscheinlich immer.
WAS DER KINDERWAGEN ÜBER DIE ELTERN AUSSAGT UND WIE ICH GANZ SCHNELL MEINE GRUNDSÄTZE ÜBER BORD WERFE
Sophie ist ein ganz besonderes Kind. Ich weiß nicht, ob meine Mutter sich darüber im Klaren ist, aber sie ist einfach das beste Kind, das unter dieser Sonne seine Windeln vollmacht. Da ich ja weiß, dass es mit mir ähnlich schön gewesen sein muss, und ich ihr etwas Gutes tun möchte, erzähle ich jetzt mal von meinem kleinen Goldprinzesschen.
Ein Tag mit Sophie ist immer eine echte Offenbarung. Und das bereits seit vier Monaten. Nachdem sie zwölf Stunden durchgeschlafen hat, lässt sie ihren angestrengten Eltern noch genug Zeit auszuschlafen, sich hübsch zu machen und den teuren Rotwein vom Vorabend auszujoggen. Anschließend wird der durch frisch gepressten Orangensaft ersetzt, während Sophie sich noch räkelt und mit einem zarten Gurren ihren Start in den neuen Tag ankündigt. Langsam schaut sie sich um, ob schon jemand da ist, um sie anzuziehen. Wenn nicht, spielt sie ein bisschen mit ihrer blau-weißen Babydecke, schaut die Wand an oder übt zu sprechen.
Sobald jemand kommt, begrüßt sie ihn oder sie – sie macht da natürlich Unterschiede und kennt die gesellschaftlichen Gepflogenheiten – mit begeistertem Armewackeln (Männer) oder mit hin und her drehendem Kopf, wie zum Küsschengeben (Frauen). Anschließend wird mit viel Kichern und Lachen die Tagesgarderobe ausgewählt. Sophie ist enorm stilsicher, alles, was sie trägt, stimmen wir gemeinsam farblich aufeinander ab. Immer zwei Basics und ein Special. Obwohl sie so unwahrscheinlich hübsch ist, dass ich mich schon wundere, dass noch kein Babymodelscout sie gecastet hat, ist sie nicht eitel. Es ist ihr egal, dass sie keinen teuren Baby-Ferrari bekommen hat, sondern den grauen Gebrauchten für fünfzig Euro. Sie weiß eben, dass es anderen Kindern auf der Welt schlechter geht und die das Geld dringender gebrauchen können.
Wenn sie beim Essen etwas möchte, was auf unseren Tellern ist, schaut sie uns erst höflich an und kostet dann auch nur kleine Portionen. Niemals würde sie uns etwas wegessen oder uns vom Essen abhalten wollen. Ich merke richtig, wie es sie schmerzt, dass ihr Kehlkopf noch nicht so weit entwickelt ist, dass sie fragen könnte: »Liebe Mama, sag, könnte ich vielleicht ein Fitzelchen von deinem Salat haben? Ich möchte doch, dass mein Darm sich auf alle Lebensmittel einstellt, sodass ich ganz bald all die leckeren, von Papa zubereiteten Speisen durchprobieren kann. Bitte?«
Sie entwickelt sogar schon eine Art Empfehlungsverhalten. Neulich stand die vor Fett triefende Pizza vor mir, und ich hatte Sophie auf dem Schoß. Als ich kurz wegsah, schnappte sie sich ein Drittel von meinem Teller und warf es auf den Boden. Sie lachte kurz auf, als wollte sie sagen: »Siehst du, Mama, NDHZD – nimm die Hälfte zu dir. Und du wirst bald wieder zufrieden mit deinem Körper sein.«
Wenn die Mahlzeit dann beendet ist, möchte sie oft allein sein. Sophie macht gern Kraftübungen, hört dabei Musik oder schläft einfach noch eine Runde. Was ihr halt so in den Sinn kommt. Sie kann auch schon ihre Spielzeuge auseinanderhalten und entscheidet selbst, mit welchem sie in ihrer Freizeit spielen möchte. Auch wer Freund und Feind ist, kann sie bereits unterscheiden. Angelächelt wird jeder, aus reiner Höflichkeit, versteht sich. Aber in ihr kleines, reines Herz schließt sie nur jene, die ihr Weltbild erweitern und bei denen sie merkt, dass sie ihnen etwas bedeutet. Sie gibt jedem eine Chance, weil sie weiß, dass alle Menschen gleich sind. Diskriminierung oder gar Rassismus verabscheut sie, und da hat sie auch keinen Sinn für Humor. Ist das nicht wundervoll? Sie ist wahrlich ein Engel, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemand anders sehen könnte.
Und genau hier beschleicht mich immer wieder diese eine kleine Frage: War das bei uns auch so? Hat meine Mama mich auch immer geküsst und gekuschelt, so viel sie konnte? Hat meine Mama alles getan, um mir alle Türen offen zu halten? Beide Antworten sind verlockend. Falls ja: Wunderbar, dann ist ja klar, warum ich so eine einzigartig tolle Mutter bin. Ich habe es von meiner eigenen abgeschaut. Falls nein: Wow, bin ich eine tolle Mutter. Ich kann es noch besser als meine eigene, und aus mir ist schon etwas Richtiges geworden. Was für eine Zukunft steht dann Sophie erst bevor?
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