Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
sie ihren kleinen Brocken durch Leipzig trägt. Ich sehe, wie sie den Kinderwagen in den Hausflur wuchtet und anschließend – vor der Brust Sophie, hinten den Rucksack mit den Einkäufen – alles in den dritten Stock schleppt. Ich bin wirklich beeindruckt. Und immer mal wieder denke ich: Du lieber Himmel, das habe ich früher auch alles gemacht. Allein. Wie soll denn das bitte schön funktioniert haben? In solchen Momenten denke ich: vielleicht doch nicht immer so spielend, wie ich die Zeit allein mit Hanna in Erinnerung habe. Hanna erzähle ich davon nichts. Ich will keine Dankbarkeit. Ich habe Kinder bekommen, weil ich sie wollte.
Es frühlingt heftig in diesen Wochen. Meist ist es schön, manchmal zwischenmenschlich knifflig, aber immer, wirklich immer interessant. Hätte mir jemand ein Jahr zuvor prophezeit, ich würde mit meiner immer mal wieder ganz schön komplizierten Hanna Wochen verbringen, ohne dass Türen knallen oder Schweigestrafen verhängt werden – ich hätte das für einen rosafarbenen Traum gehalten, in dem jemand die Skriptseiten vertauscht hat.
Es ist Mittwoch in Leipzig. Der Tag ist noch jung, erst am Nachmittag habe ich einen Termin, nichts wartet auf mich. Ich fahre ins Café Grundmann, wo es guten Kaffee und Frühstück gibt, Hollerbrause und die grandioseste Art-déco-Inneneinrichtung, die man sich nur wünschen kann. Es ist voll und gesprächig. Für mich gibt es noch einen kleinen Tisch, an den ich mich setze, Zeitung lese und einen guten Blick auf die anderen Gäste habe.
Gleich gegenüber an der Wand hat sich eine Runde zum Sektfrühstück getroffen. Neun Frauen um die fünfzig sitzen da. Cappuccinotassen, Sektgläser und Rühreiteller, gelöstes Lachen und gerötete Wangen – sie scheinen ihren Spaß zu haben. Links außen am Tisch, strategisch goldrichtig, sitzt eine blonde Frau. Sie ist deutlich jünger als die anderen und hat ein noch recht frisches Baby auf dem Arm, links von ihr ragt der fabrikneue Kinderwagen in den Raum. Ganz klar, hier findet eine Babybesichtigung durch die lieben Kollegen statt.
Immer wieder nimmt eine der Frauen das kleine Bündel auf den Arm, damit auch Mama mal von ihrem Croissant abbeißen oder einen Schluck Kräutertee trinken kann. Sie ziehen das weiße Mützchen zurecht und zupfen an der rosa Babydecke. Erinnerungen an die eigene Mutterschaft werden heraufbeschworen, es werden Namensdiskussionen geführt und unter gelöstem Gegacker die schönsten Anekdoten aus dem DDR -Gesundheitssystem zum Besten gegeben. Irgendwann ist dann doch mal Schluss mit der ausgedehnten Mittagspause – die Rechnung wird bestellt, die Frauen nehmen ihre Jacken vom Haken. Aufbruch.
Doch bevor sie zurückkehren in ihr Büro und an ihre Schreibtische, überreichen sie der jungen Mutter noch ihr Geschenk. Sie haben nachgedacht, was eine Frau und ihr Kind in einer mitteleuropäischen Großstadt gebrauchen könnten. Sie haben Geld gesammelt und eine Entscheidung getroffen. Es ist: eine Windeltorte. Eine besonders monströse Nutzlosigkeit in einer an Nutzlosem nicht eben armen Babywarenwelt. Eine Babytorte kann man nicht essen. Sie besteht aus Dutzenden zusammengerollten Papierwindeln, die mit Geschenkband zusammengebunden und von kundigen Händen zu zwei oder drei Stockwerken aufgetürmt wurden. Verziert sind sie mit diversem Tinneff wie Schnullern, Babyrasseln sowie – in diesem Fall – Q-Tips statt Kerzen.
Mit leuchtenden Gesichtern tragen zwei der Kolleginnen die in Knisterpapier gehüllte Scheußlichkeit herbei. In den Augen der Beschenkten sehe ich Fassungslosigkeit. Die Windeltorte ist etwa einen Meter hoch – wie soll sie das Teil nach Hause kriegen? Hätte sie ein wagenradgroßes Blumengesteck geschenkt bekommen, hätte sie es großzügig der Kellnerin weiterreichen können. Die Gäste des Cafés hätten ihre Freude gehabt. Aber so eine verdammte Windeltorte will doch kein Mensch. Nicht mal die Windeln kann man noch gebrauchen – durch das Rollen und das straffe Zusammenbinden sind sie unnütz geworden. Ein Riesenhaufen Wohlstandsmüll also, mit dem man seinem Kind nicht mal mehr den Arsch abwischen kann.
Das erste Mal hatte ich so ein schreckliches Ding im Fernsehen gesehen. In der Serie »Sex and the City« besuchten die vier Heldinnen eine Babyshower, ein Fest, auf dem einer werdenden Mutter gehuldigt wird. Groß im Bild damals: eine Babytorte. Zusammengerollte Windeln als Geschenk, dachte ich damals noch – was für einen Schund die Amis sich ausdenken!
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