Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
für Leute, die ihre Kinder zwar an ihrem Körper, jedoch mit besorgniserregend baumelndem Kopf über der Systemkante durchs Straßenbild trecken. Man muss selbst kein Kind haben, um zu sehen, wie dramatisch hier die Schwer- und Fliehkraft des Babykopfes an den zarten Nackenwirbeln zerren. Kinder, noch zu klein, ihren Kopf selbst zu halten, werden wie Kartoffelsäcke mit angenähtem Weißkohlkopf in Strickgebinden auf Mutterns Rücken gehängt. Da baumeln sie dann, und man gerät in Versuchung, die Elternpolizei zu rufen.
Aber was rede ich? Ich habe ja eh keine Ahnung und gehe mal davon aus, bei meinen Kindern alles falsch gemacht zu haben. Hanna zum Beispiel habe ich einst bei Bedarf einfach auf meiner Hüfte herumgetragen und sie ansonsten in einem der zwischenmenschlichen Nähe abträglichen Kinderwagen umhergefahren. Und bei Hannas Schwester habe ich Mitte der Neunzigerjahre ein langes Tragetuch erworben. Es war teuer, es war bunt – aber meine Rückenschmerzen waren einfach stärker als jeder gute Wille. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dreißig Euro für ein Trageberatungs-Erstgespräch hinzublättern. Aber vermutlich hätte ich das gar nicht gekonnt – den Beruf der Trageberaterin hatte das System noch nicht erfunden.
Doch inzwischen gibt es sie – die weisen Expertinnen. Ich lese Stefan das Interview mit der Dame laut vor, wir lachen ausführlich, anschließend poste ich es auf Facebook und schreibe dazu: »Heiterkeit heute Morgen am Frühstückstisch! Ausbildungsberuf Trageberaterin.« Ich stelle fest, dass Facebook-Freunde meiner Generation diese Information mit einer Mischung aus Erstaunen und Abscheu zur Kenntnis nehmen. Eine Freundin kommentiert: »Wie man aus Babykacke eine Wissenschaft macht, das ist schon abgefahren.« Und eine ans andere Ende der Welt ausgewanderte Kollegin postet gar, das Interview helfe hervorragend gegen ihr hin und wieder auftretendes Deutschlandheimweh. »Das nackte, verkackte Grauen und all der ökige, humorfreie, perfektionistische Muttimief springen mir hier entgegen.«
Zwischen all den Posts findet sich eine Bemerkung von Hanna. »Das versteh ich jetzt nicht«, schreibt sie. Was gibt es da nicht zu verstehen, denke ich und rufe sie an. Und meine Tochter erklärt mir, dass Trageberatung überhaupt nichts Exotisches sei. Jedes Geburtshaus, jede Hebammenpraxis, die auf sich hält, hat sie im Angebot. Außerdem Windel- und Stillberatung, Breikochkurse und Yoga für Mama und Baby. Das Angebot ist riesig. Dass Hanna sich nicht hat beraten lassen, wie sie Sophie durch die Welt tragen soll, ist auch nicht ganz richtig. Denn sie hat ihr »System«, so nennt selbst meine Tochter das, anlässlich einer Babymesse gekauft und sich dort von einer dieser weisen Frau in dessen Handhabung unterweisen lassen. Von einer echten Expertin eben. Na, prima. Aber ich schwöre, wenn da Sophies Kopf irgendwie raushängt, rufe ich auf der Stelle die Elternpolizei.
KÖRPERKULT IN KURSKULTUR UND DIE KOMMERZIALISIERUNG MEINER MUTTERSCHAFT
Als ich das Schwangersein aufgegeben hatte, war mein Körper völlig fertig mit der Welt. Soeben hatte er die schwerste Last abgeworfen, die er je so lange zu tragen gehabt hatte, und jetzt sollte er auch noch für das weitere Auskommen dieser Last Sorge tragen. Mein Körper ist eher einer von der trägen Sorte und nicht gerade reich mit festem Bindegewebe und effektiven Verbrennungsmechanismen ausgestattet. Er hat sich dem exzentrisch Naturbelassenen verschrieben und möchte gern, dass für jeden sichtbar ist, was jemals mit ihm unternommen wurde.
Inzwischen habe ich mich einigermaßen mit ihm angefreundet. Ich habe sogar gelernt, dieses »Zeigen, was man hat«-Prinzip zu schätzen. Das gehört inzwischen zu mir. Ganz im Gegensatz zu meinem Körper ist mein Kopf eher so ein Macher. Der arbeitet Tag und Nacht, wälzt alles hin und her, und wenn er mal nichts zum Wälzen hat, sucht er sich irgendeine Kamelle von früher – meine Kindheit oder so was –, um wenigstens daraus eine schlaflose Nacht produzieren zu können. Körper und Kopf sind bei mir in ständigem Clinch, und deshalb ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner meine Haut. Wenn einer von beiden nicht mehr will, verpasst er mir einen ordentlichen Schub Neurodermitis, bis ich nachgebe. Stur sind die beiden. Unglaublich stur.
Und so war die postnatale Zeit eine, die von roter Haut, scheuen Blicken in den Spiegel, wenig Schlaf und wirren Selbstgesprächen geprägt war. Ich konnte mich nicht mehr
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