Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
dann sollten sie auch ein bisschen was dafür tun. Ich fühlte mich derart ins Unrecht gesetzt, dass ich vor Wut heulte.
Als ich schlafen ging, waren gerade die letzten Tränen getrocknet. Die viel zu kurze Nacht vor Augen, nahm ich mir vor zu spenden, sobald ich genug Geld hatte. Für Geburtshäuser, Schmerzmittelforschung und kostenlose Partnerberatung. Und für die deutsche Vereinigung alleinerziehender Eltern.
EXPERTENTUM
EINE WEISE FRAU ERWEIST SICH ALS TRAGEBERATERIN, UND ES WIRD ÜBER KINDERKÖPFE IN SYSTEM-ZUSAMMENHÄNGEN DISKUTIERT
Ich bin ja eine große Anhängerin des Expertenwesens. Ich finde, jede und jeder sollte über irgendetwas besonders gut Bescheid wissen oder zumindest Interessantes berichten können aus Lebensbereichen, die anderen nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Detaillierte Grammatikkenntnisse etwa – da höre ich persönlich gern zu. Auch die Gabe, Noten zu arrangieren oder die Wetterentwicklung aus den Federwolken eines Sommerhimmels zu prognostizieren, bewundere ich. Ayurvedisch kochen und auch noch erklären können – großartig.
Seltsamerweise gelte ich unter meinen Kollegen als Expertin fürs Gärtnerische, denn anders als sie habe ich einen Garten. Und wenn die lieben Urbaniten mal zum Grillen und Chillen vorbeischauen, sehen sie, dass da tatsächlich etwas wächst. Nämlich Bäume. Und Gras. Und Blüten. Dass die Bäume kahle Stellen haben, der Rasen ungut vermoost ist und die Blüten eher Butterblumen als Röschen sind – das sehen diese restlos verstädterten Besucher nicht. Sie denken: Bei der Maier ist es grün, die muss Ahnung vom Gärtnern haben.
Ich lasse sie in dem Glauben. Was ist falsch daran, als Naturfreundin zu gelten, als weise Frau? Das kommt irgendwie gut. Dass ich ein handfestes Unkrautproblem habe und auf dem mageren märkischen Sandboden Tomaten nur in Kübeln mit gekaufter Erde anbaue – das wissen die ja nicht. Auch nicht, dass mein Expertentum zu Staub zerfällt, sobald jemand anderes wirklich Ahnung hat. »Dein Cornus bräuchte aber mal einen Rückschnitt«, sagte ein Freund kürzlich. »Mein bitte was?«, antwortete ich verwirrt. »Na, der Hartriegelstrauch da, der müsste mal beschnitten werden. Und guck mal hier, Wurzelaustriebe wie diese solltest du gnadenlos kappen.« Tja, gut gefaked ist höchstens halb gewusst.
Daran musste ich denken, als ich die Wochenendzeitung zur Hand nahm. In einem doppelseitigen Interview gab eine Frau ihr Expertenwissen zum Thema Babys und Kleinkinder zum Besten. Die Lady war Anfang dreißig, sie hatte nach dem Abitur mehrfach angesetzt, allerlei Ansprechendes zu studieren. Philosophie war dabei, Medizin, auch Stadtplanung und Literaturwissenschaften. Mit Mitte zwanzig dann schenkte sie einer Tochter das Leben. Dieses Ereignis hatte sie offenbar zu der Überzeugung gebracht, dass Muttersein der befriedigendere und gesellschaftlich höher stehende Job sei, wenn man dem akademischen Plunder nicht gewachsen ist. Und sie schien begriffen zu haben, dass man diese Lebensphase mit allerlei Kursen zu diesem und jenem Expertentum aufschäumen kann. Dass also Expertinnenwissen vorzugeben bei Bedürftigen jede Menge Eindruck schindet und diese auch noch dazu bewegt, dafür Geld auszugeben. Ich will nicht länger drum herum reden: Die Frau gab zu Protokoll, sie sei von Beruf Trageberaterin.
Kurz bevor ich begriff, hoffte ich noch, dies sei die Berufsbezeichnung für Menschen aus dem Speditionsgewerbe. Wie befördert man fünf Säcke Rollsplitt von A nach B – so etwas. Aber nein, erklärte die Interviewte ohne einen Anflug von Ironie, ihr »Ding« sei nun mal das Tragen von Babys. Das habe sie besonders interessiert. Und deshalb habe sie es »in einer der führenden deutschen Trageschulen gelernt« und, derart zertifiziert, zu ihrem Beruf gemacht. Im Tragen, da sei sie richtig gut, weshalb sie ihre ebenfalls begonnene Ausbildung zur Stillberaterin schließlich abgebrochen habe. Warum wunderte mich Letzteres eigentlich nicht?
Unruhig fing ich an, mit der Zeitung zu rascheln. »Stefan«, sage ich zu meinem Mann, »stell dir vor: In dem Interview hier sagt eine Frau, sie sei Trageberaterin.« »Nie gehört«, nuschelte der und fragte immerhin, was das sein solle. »Ich bin mir nicht sicher, aber möglicherweise ist das eine Berufsbezeichnung für Leute, die wissen, wie Kinder getragen werden.« Na prima, meinte Stefan, das sei ja mal eine gute Neuigkeit. Wenn es weiter so mies auf dem Zeitungsmarkt laufe, könne er mit seiner
Weitere Kostenlose Bücher