Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
damit, mich selbst als Oma zu bezeichnen oder von meinen Mitmenschen so genannt zu werden. Und ich denke sehr ernsthaft darüber nach, Sophie sprachlich so zu manipulieren, dass sie mich später bei meinem Vornamen nennt.
Entschuldigung, aber eine Oma – das sind Frauen, auf deren Kosten Scherze sonder Zahl gemacht werden. Weil Omas verpeilt sind und man ihnen nachsagt, sie seien hasserfüllt jüngeren Frauen gegenüber. Weil sie den Verkehr aufhalten und an der Kasse ewig in ihrer Geldbörse wühlen. Der Duden bietet zu »Oma, umgangssprachlich, oft scherzhaft oder abwertend Omi« folgende Adjektive an: lieb, alt, rüstig, knarzig, krank, tot. Na, danke.
Als Hanna schwanger war, habe ich erlebt, was es heißt, hierzulande zur Großmutti zu mutieren. Da war zum einen die Sprachpolitik. Selbstverständlich sagte ich nicht: »Ich werde Oma.« Nein, meine Formulierung lautete: »Meine Tochter bekommt ein Kind.« Leider antwortete mein Gegenüber meist inhaltlich richtig: »Das heißt, du wirst Oma.« Ich nickte stumm ergeben, dachte aber bei mir, dass ich das so nicht formulieren würde. Roch ich vielleicht nach Kernseife, oder was?
Zum anderen war da die soziale Wahrnehmung. Sagte ich meinen Tochter-bekommt-ein-Kind-Satz, konnte ich zusehen, wie in den Gehirnen meiner Gesprächspartner kleine Taschenrechner angeknipst wurden: »Moment mal, ratterratter, wenn die Maier jetzt Oma wird, dann muss doch die Tochter, ratterratter, na, sagen wir mal, Anfang zwanzig sein. Das heißt, ratterratter, die Maier muss – mindestens! – Mitte vierzig sein. Boah, ganz schön alt, die Alte!« Ich konnte zusehen, wie angesichts dieser Erkenntnis Kolleginnen mich von ihrer geheimen Konkurrenzliste strichen. Diese Frau würde ihnen nicht mehr lange beruflich im Wege stehen. Und ich registrierte sehr wohl, wie Kollegen mich aus ihrer ungegenderten Coole-Frauen-Kartei aussortierten. Binnen Sekunden wurde ich zur Frau mit O. Jener Frau, die von nun an Richtung Rente steuert und eher nicht mehr zu irgendwelchen Projektarbeitsgruppen hinzugezogen wird, in denen es um die Zukunft des Journalismus oder dergleichen coole Themen geht.
Natürlich, ich kenne die Sprüche. Du bist doch nicht alt – du hast einfach früh mit dem Kinderkriegen angefangen und bist jetzt fertig. Oder: So eine junge Oma hätte ich mir auch gewünscht. Das ist nett gemeint. Auch ich bin der Ansicht, dass kleine Kinder mehr von einer Großmutter haben, die sie auf den Arm nehmen kann, ohne um ihre Schulterprothese zu fürchten. Und ich werde eine jener Omas sein, die auch inhaltlich noch verstehen, was sie ihren Enkeln vorlesen. Ja, geistig und körperlich alles so weit ohne Befund.
Dennoch ist die direkte Verwandtschaft einer Mittvierzigerin mit einer Einjährigen ein sicherer Hinweis auf die Tatsache, dass die eine der beiden – nämlich ich – biografisch eher Richtung Bahre tendiert. Allein der Gedanke, dass Sophie nunmehr den ersten Platz in der maierschen Generationenfolge einnimmt, während ich gnadenlos auf Rang drei abgefallen bin, ist ungemütlich. Was fühlt wohl erst meine Mutter, die nun mit Platz vier vom Treppchen steigen musste?
Ich würde mir wünschen, es wäre anders. Ich würde mir wünschen, ich hätte diese Gefühle nicht und wäre stattdessen eine dieser toughen Na-und-Frauen. Eine, die sich gern, und zwar nicht nur von ihrer Enkelin, Oma nennen lässt. Eine, die laut und deutlich sagt, wie alt sie ist, und nicht – wie kürzlich geschehen – diskret bei Facebook ihr Geburtsjahr löscht. Aber die bin ich nicht. Ich meine, allein Hannas Geburt ist doch gerade mal gefühlt wenige Augenblicke her.
Laufen und singen lernen, Einschulung und Kretaurlaub, die schlimme Lungenentzündung mitten im Sommer und die vor sich hinvegetierenden Meerschweinchengenerationen im Kinderzimmer, Rauchen und Kiffen – das war doch gerade eben erst. Oder? Lieblingsessen: Fischstäbchen, Lieblingsfilm: »Dschungelbuch«, Lieblingstier: Pferd – alles enorm wichtig und verbindend für eine vierköpfige Familie. Und wer war die Chefin dieser Familie? Ich.
Man muss sich nichts vormachen. Eine Frau mit O zu werden – das heißt nicht nur, die geilen Erinnerungen wegpacken zu dürfen, weil das große Kind nun seine eigenen generiert und archiviert. Eine Frau mit O zu werden heißt, abdanken zu müssen. Von der Königinmutter zur Lady O. Zu jener Frau, die die Erinnerungen konserviert, denen ab jetzt (jedenfalls familientechnisch) keine neuen hinzugefügt werden.
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