Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
Ich möchte mich nicht von den anderen unterscheiden, nur weil ich gerade ein Kind bekommen habe. Verwirrt und hässlich ist out, wir wollen schön sein, auch wenn wir gerade erst dreißig Kilo dazugewonnen haben. Mag ja sein, dass in den Achtzigern und Neunzigern die Weltuntergangsstimmung so sehr gedrückt hat, dass es egal war, ob Dehnungsstreifen rausblitzten, die Brüste wackelten und ausliefen und die Beckenbodenmuskeln spaghettimäßig durchhingen. Das ist heute nicht mehr so. Heute soll das Wochenbett so kurz wie möglich sein, man springt zurück ins Leben und ruft: »So, Welt, ich bin wieder bereit. Wo ist der Modelscout, wo ist mein Arbeitsplatz?«
Unsere Eltern sind uns keine echten Vorbilder, sie kennen ja nicht mal den Unterschied zwischen symmetrischen und ergonomischen Schnullern. Sie wissen nicht, was es wirklich bedeutet, auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Wir wollen top ausgebildete Stillberaterinnen und Tagesväter. Menschen, denen klar ist, dass unsere Kinder die Zukunft gestalten werden. Unsere Kinder werden aller Wahrscheinlichkeit nach in ein paar Jahren diese Erde davor retten zu kollabieren. Deshalb schenken wir ihnen jetzt schon das nötige Selbstvertrauen. Sie sollten jedenfalls die Erde retten, sonst könnten wir uns das ja alles sparen.
Und noch eine Nachricht an meine Mutter: Mach dich nur lustig über die vielen Frauen mit ihren Fantasieberufen. Ich wette, dass eine Tragelehrerin mit Babyyogaweiterbildung abends nicht nach Hause kommt und über die eingebildeten Schnösel im Regierungsviertel jammert. Und die freiberufliche Kunsttherapeutin mit Spezialgebiet Kindertanz hat sicherlich kein Problem mit dem passenden Stoff für das maßgeschneiderte Jackett. Diese Leute sind entspannt und leben für die Zukunft. Du langweilst dich bei Redaktionskonferenzen. Hast du schon mal von einer Hebamme gehört, die sich bei der Geburt eines Kindes gelangweilt hat? Meine Beckenbodentrainerin hat immer erzählt, dass sie jetzt eine Tantraweiterbildung macht. Gleiches Anwendungsgebiet, verschiedene Tätigkeitsfelder. Kinder und Sex. Das nenne ich mal Offenheit im Berufsleben. Wer das eine tut, muss mit dem anderen rechnen.
ÄLTER WERDEN
ES KOMMT KEINER MEHR, UND IM GROSSELTERNHAUSHALT HERRSCHT FREIWILLIGE ORDNUNG
Aus dem Weg! Was glotzt ihr so? Nun macht schon Platz – hier kommt die Kronprinzessin von Leipzig. Seht ihr mich auch alle gut? Spitzenmäßig mache ich das, oder?
Sophie kann jetzt laufen. Also das, was man mit zwölf Monaten so unter Laufen versteht: eine Art breitbeiniges Stampfen, unterbrochen von Arschbomben im öffentlichen Raum. Wahnsinnig stolz ist sie auf diese neue Fähigkeit, selbst wenn sie hindotzt oder mal aus dem Takt gerät, weil sie vergessen hat, das zweite Bein nachzuziehen – Laufen macht Spaß, das sieht man ihr an.
Heute bin ich ihre Laufassistentin. Es ist Donnerstagnachmittag, und wir kreuzen gemeinsam durch die Leipziger Innenstadt. Mit einer Hand hält Sophie sich an ihrem Wagen fest, hinter ihr gehe ich, leicht gebückt, um immer mal wieder vorkommende Stürze abzufangen. Alte Damen gucken fasziniert, Kinder zeigen mit dem Finger auf unsere Performance, Mütter lächeln mich verständnissinnig an. Unten, zwischen meinen Knien, grinst Sophie und tapert schwankend voran.
Hanna und Oscar haben heute länger in der Uni zu tun. Pünktlich zum Semesterbeginn hat Sophie einen Betreuungsplatz bekommen, da passt es in der ersten Zeit gut, dass ich gerade in Leipzig bin, als eine Art Enkelkind-Bereitschaftsdienst. Und deshalb habe ich heute den Kinderwagenschlüssel ausgehändigt bekommen sowie eine genaue Wegbeschreibung zur Tagesmutter. Pünktlich um drei stehe ich im Flur einer Hochparterrewohnung, gelegen im Stadtteil Reudnitz, der ungefähr so aussieht, wie er heißt. Sophie ist ein bisschen irritiert, dass ich es bin. Gut und schön, sagt ihr Blick – aber kommt jetzt hinter dem Rücken dieser mir durchaus bekannten, auch netten Person mal meine Mama hervor? Aber Mama kommt heute nicht. Heute kommt – die Tagesmutter erklärt es gerade den im Flur versammelten Mitknirpsen – »der Sophie ihre Oma«.
Da ist es wieder, das Wort mit O. Oma. Ein Substantiv, bei dessen Gebrauch vor meinem inneren Auge Bilder von rüstigen Damen aufsteigen, weißhaarig, beige gekleidet und immer ein bisschen nach Kernseife und – wegen der Dritten – aus dem Mund riechend. Solch eine Frau mit O bin ich nicht und möchte ich nicht sein. Ich habe überhaupt ein Problem
Weitere Kostenlose Bücher