Als ploetzlich alles anders war
plötzlich alles anders und das Leben von früher kam ihr plötzlich wie ein Trugbild vor.
Seit dem Unfall rasten Teresa auch ständig Millionen verrückter Gedanken durch den Kopf. Dass sie ein durch und durch schlechter Mensch wäre beispielsweise und das, was sie getan hatte, nicht weniger schlimm war, als wenn sie Louisa mit Absicht eine Treppe hinuntergestoßen hätte.
» Die Kursleiterin sieht nicht die Spur indisch aus, sie ist blond und superdünn, aber wenn sie tanzt, dann kriegst du eine richtige Gänsehaut«, erzählte Jette begeistert. Offenbar war sie froh, dass sie endlich das Thema wechseln konnte, was für Teresa schon wieder ein Grund war, sich über ihre Freundin zu ärgern. Was war ein dämlicher Tanzkurs gegen Louisas Probleme? Entpuppte sich Jette nun mehr und mehr als beschränkte Tussi, die nur an ihren Spaß dachte? Jetzt war es der Tanzkurs, morgen waren es coole Klamotten und dann irgendwann bloß noch Jungs und die richtige Lippenstiftfarbe.
» Nach dem Kurs gibt es eine Abschlussveranstaltung, bei der jeder, der will, etwas vortanzen kann«, erzählte Jette weiter.
» Wie aufregend«, sagte Teresa spöttisch, während sie einen Topf aus dem Kühlschrank nahm und ihn auf den Herd stellte. Mama hatte gestern Abend noch eine Gemüsesuppe gekocht, die Teresa heute nur aufwärmen musste.
» Soll ich für Louisa gleich mitdecken?«, fragte Jette, als sie den Hängeschrank geöffnet hatte. Teresa schaute auf die Küchenuhr über der Tür.
» Es dauert noch bisschen, bis sie kommt, aber wir warten auf sie, ja?«, sagte sie.
» Kein Problem«, sagte Jette und verteilte Teller, Löffel und Wassergläser auf dem Tisch. Dann verließ sie die Küche, weil sie etwas aus ihrem Rucksack holen wollte, und Teri versank beim Umrühren der Suppe wieder in Gedanken. Sie schrak auf, als die Musik einsetzte. Es war eine fröhliche, bunte Musik, die aus dem Wohnzimmer kam und ganz eigene, heitere Bilder erzeugte.
» Wie gefällt dir das?«, rief Jette von nebenan.
Ganz gut, dachte Teri, stellte den Herd auf die niedrigste Stufe und fing an, sich unwillkürlich zur Musik zu bewegen. Aber sie sagte nichts. Sie hörte inzwischen so selten Musik, dass sie erst jetzt merkte, wie sehr ihr das eigentlich gefehlt hatte.
Als Teri gerade ihre Hüften kreisen ließ, kam Jette zurück.
» Jetzt zeige ich dir mal, was ich gestern schon gelernt habe«, sagte sie. Dann demonstrierte sie ein paar Handbewegungen und Schritte, die Teri ganz schnell begriff. Aber die Musik war so fröhlich und leicht, dass sich manche Bewegungen auch ganz von selbst einstellten, ohne dass man sie erst lange üben musste. Es gab Tanzschritte mit Namen wie Klapprad, Himmel oder Schwankendes Tablett, was auf Indisch natürlich alles viel geheimnisvoller klang.
Schultern in Wellenbewegungen auf- und abschwingen, in die Knie gehen und sich schlangengleich mit über dem Kopf gekreuzten Armen wieder zur vollen Größe aufdrehen, auf die Zehenspitzen stellen und sich voreinander in einer Begrüßungsgeste mit aufeinandergelegten Handflächen verneigen –, das machst du super, rief Jette enthusiastisch, als Teresa immer leidenschaftlicher tanzte, schließlich ihren Haarreifen abstreifte und das Haar nun beim Tanzen um den Kopf herumwirbeln ließ. Die Musik übte einen solchen Zauber auf Teri aus, dass sie sich bald völlig selbstvergessen dazu bewegte, nichts hörte und nichts sah. Sie hatte so lange nicht getanzt und es fühlte sich einfach nur gut an.
Und dann stand Louisa plötzlich in der Diele. Wegen der lauten Musik, die wie in einer Disco durch die ganze Wohnung schallte, hatten weder Jette noch Teri bemerkt, wie Louisa nach Hause gekommen war. Sie stützte sich mit der rechten Hand am Rahmen der Küchentür ab und sah so bestürzt aus, als hätte sie der Anblick der beiden tanzenden Mädchen zu Tode erschreckt. Nicht weniger erschrocken war Teresa bei Louisas Anblick, war sofort in der Bewegung erstarrt und die Freude verpuffte. Gleich kehrte es zurück, dieses grässliche Gefühl, von ihrer Angst verschlungen zu werden.
» Du bist ja schon da«, rief Teri nach Luft schnappend, angelte nach dem Reifen auf dem Tisch und schob ihn sich schnell wieder ins Haar.
» Ich wollte euch nicht stören«, sagte Louisa, der Teri ansah, wie sie sich fühlte. Diesmal gelang es ihrer Schwester nicht, ihre Empfindungen hinter aufgesetzter Schnoddrigkeit zu verbergen. Vermutlich war es die Musik, die Louisa ja auch über alles liebte, die sie
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