Als ploetzlich alles anders war
wie eine Baustelle mit vielen halb fertigen Gebäuden und Louisa wusste nicht, wo sie mit dem Bauen weitermachen sollte und ob sie es überhaupt schaffen würde, je eines ihrer Zukunftshäuser fertig zu bauen.
So, wie sie sich jetzt fühlte, würde sie wohl alle ihre Pläne über den Haufen werfen müssen. Abi machen, studieren, auch wenn sie noch unentschlossen war, später hätte sie vielleicht die Kleinen im Schlittschuhclub trainieren, etwas wahnsinnig Tolles erfinden und dafür den Nobelpreis bekommen können. Ein Mädchen sein, das Träume hatte, das sich eines Tages verlieben würde. Die anderen würden so ein selbstbestimmtes Leben haben, zumindest standen ihnen alle Möglichkeiten offen.
Nach der vierten Stunde war wegen einer außerplanmäßigen Lehrerkonferenz heute schon Schulschluss. Angeblich war das gestern angekündigt worden, aber Louisa wusste nichts davon und hatte keine Ahnung, was sie jetzt machen sollte. Warten oder sich allein auf den Heimweg machen? Stiepe würde wie verabredet erst in zwei Stunden kommen und Louisa hatte seine Handynummer nicht dabei.
» Sollen wir bleiben, bis dein Bus kommt?«, fragte Fee.
» Nicht nötig«, sagte Louisa steif.
» Wirklich nicht?«, fragte Hatice.
» Welchen Teil von nicht nötig hast du nicht verstanden, Hatice?«
Dann gingen sie endlich und Louisa blickte ihnen nach. Unweigerlich musste sie dabei an den letzten Schultag vor den Sommerferien denken, als sie mit Fee und Hatice zusammen wie jeden Tag den immergleichen Weg zur U-Bahn gelaufen war. Sie wollten zum Alexanderplatz und im Alexa Klamotten für den Urlaub kaufen, Eis essen und ein bisschen in der Sonne abhängen, am Weltzeitbrunnen sitzen oder auf den Fernsehturm rauf und in dem Restaurant oben eine Cola trinken. Fee würde in ein paar Tagen mit ihren Eltern nach Spanien fahren, Hatice zu ihren Verwandten in die Türkei und Louisa mit ihrer Familie an die Ostsee.
In der letzten Ferienwoche wären alle drei wieder in Berlin, sie schmiedeten schon Pläne, was sie alles noch zusammen machen wollten, aber dann hatte Louisa am dritten Ferientag den Unfall gehabt und nichts war mehr so, wie es vorher gewesen war.
Louisa senkte den Kopf und blickte auf ihre rot gefrorenen Hände. Es dauerte jetzt immer ewig, bis sie endlich ein Paar Handschuhe angezogen hatte. Deswegen ließ sie es meistens ganz bleiben. Doch wenn sie jetzt nicht bald ins Warme kam, wäre sie so steif, dass sie nicht mal mehr einen Finger krümmen könnte.
Es gab nun zwei Möglichkeiten– entweder im Schulhaus warten oder sich allein auf den Heimweg machen, eine irgendwie verlockende Vorstellung. Es war auch gar nicht weit bis zu ihr nach Hause, aber Louisa war noch nie allein mit dem Rollstuhl unterwegs gewesen. Je länger sie nun darüber nachdachte, desto aufgeregter wurde sie. Wenn sie es nicht wenigstens versuchte, würde sie nie wissen, ob es möglich war. Ihre Krankengymnastin war zwar der Meinung, es wäre überhaupt kein Problem, Louisa müsste nur etwas mutiger sein. Aber der Rollstuhl, der etwas schwergängig war, schüchterte Louisa immer noch ein. Doch als sie sich endlich traute, kam sie nicht weiter als bis zur Bordsteinkante, die an dieser Stelle so hoch war, dass Louisa mit dem Rollstuhl fast nach vorn gekippt wäre, wenn sie nicht rechtzeitig die Bremshebel angezogen hätte.
Teresa tanzt!
» Ist das nicht schäbig von den beiden, Jette?«, fragte Teresa zornig. » Sie sind Freundinnen seit der ersten Klasse und jetzt lassen sie Louisa einfach fallen. Das hätte ich von Fee und Hatice nie gedacht! Da ziehen die jetzt einfach mit dieser langweiligen Niki rum, und wie sich Louisa dabei fühlt, scheint die überhaupt nicht zu interessieren!«
Teri stieß Jette an, die neben ihr ging und die ganze Zeit bloß zugehört hatte.
» Jetzt sag doch auch mal was, Jette!«
Jette seufzte.
» Vielleicht wissen sie einfach nicht, wie sie Louisa behandeln sollen. Ehrlich, Teresa, ich weiß das manchmal auch nicht«, sagte sie dann irgendwie ratlos.
» Versteh ich nicht«, antwortete Teresa brüsk und rückte ein Stück von Jette ab. » Das hört sich ja an, als wäre Louisa selber schuld daran, dass sie keine richtigen Freundinnen mehr hat«, sagte sie schneidend. Sie lief ein bisschen schneller und hätte Jette auch gleich abgehängt, wenn die jetzt nicht auch ihre Schritte beschleunigt und aufgeholt hätte.
» So habe ich das aber nicht gemeint. Ich fühle mich nur immer ziemlich mies, wenn ich sie sehe, weil ich
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