Als schliefe sie
bleiben, bis die Fotos fertig sind«. Stattdessen hatte er Mûsa gebeten, die Bilder nach Nazareth zu schicken. Dann aber waren die Wege gesperrt worden, und Milia bekam die Fotos von ihrer Hochzeit nie zu Gesicht.
Tatsache ist, dass keiner die Bilder je gesehen hat. Denn der Fotograf hat sie in einem Anfall von Wut zerrissen. Er habe die Aufnahmen zerrissen, gestand er Mûsa, als er zu ihm in den Laden kam, weil sie seinem Ruf nicht gerecht würden. »Die Braut hatte auf keinem der Fotos die Augen geöffnet. Sie sah aus, als würde sie schlafen.«
Saada war empört und forderte ihren Sohn auf, Milia zu schreiben, dass sie das Brautkleid unbedingt mitnehmen solle, wenn sie das nächste Mal mit ihrem Mann zu Besuch nach Beirut komme. »Dann können sie sich noch einmal fotografieren lassen. Ist doch nichts dabei. Keine Fotos von der eigenen Hochzeit zu haben, das geht nicht!«
Milia hatte keine Ahnung, was aus ihren Hochzeitsfotos geworden war. Und Mansûr fragte nicht danach. Er wollte ohnehin im Haus lieber Spiegel haben und platzierte einen großen im Salon, einen im Esszimmer und einen im Schlafzimmer. Milia hatte nichts dagegen. Einen Spiegel in der Küche aber lehnte sie strikt ab. »Nein, auf keinen Fall«, wehrte sie ab. »Wer hängt sich denn einen Spiegel in die Küche?«
Mansûr wünschte überall im Haus ein ganz bestimmtes Bild zu sehen. »Ich will nur dich sehen, Liebling.« Er liebte es, Milia morgens vor den Spiegel zu führen, um ihr zu beweisen, dass nichts die Schönheit einer Frau so erstrahlen lässt wie die Liebe.
»Schau, wie schön du geworden bist! Das kommt von der Liebe! Im Schlaf bist du warm wie frisches weißes Brot. Du warst heute wunderbar. Ich habe dich auf den Rücken gedreht, und es war wunderschön. Es war das schönste Mal.«
»Lass dieses Gerede.«
»Findest du nicht auch, dass es das schönste Mal war?«
Statt Fotos hatte Mansûr Spiegel im Haus verteilt. Nicht ein einziges Bild befand sich an den Wänden, nur Spiegel. Er hasse Fotos, sagte er zu seiner Mutter, als sie einmal bemängelte, dass er nicht, wie allgemein üblich, ein Porträt seines verstorbenen Vaters im Salon hängen habe. »Fotos frieren den Menschen ein, sodass er wie tot wirkt. Ich bewahre mir lieber das Bild, das ich von Vater in Erinnerung habe.«
»Aber dein Vater ist tot«, sagte die Mutter.
Mansûr winkte ab, statt zu sagen, dass ein Mensch nicht von sich aus tot ist, sondern von denen getötet wird, die sein Bild an der Wand anbringen. Dass der Vater in seinem Gedächtnis weiterlebe und er ihn nicht töten wolle.
»Warum hast du sie umgebracht, Mûsa?«
Auf einmal war das Haus voll von Fotos. Zuerst hängte Mansûr ein großes, schwarz gerahmtes Foto von seinem Bruder auf. Anschließend ein Foto des Vaters, später Fotos von den Kindern seines Bruders. Dann ein Foto der Mutter zeitgleich mit einem Foto der nun verwitweten Ehefrau im Brautkleid an der Seite ihres Mannes. Zu guter Letzt klemmte er in die Rahmen sämtlicher Spiegel kleine und große Fotos. Einmal brachte er aus Jaffa ein zerknittertes, halb verblichenes Foto mit, um es von einem Fotografen restaurieren zu lassen. Denn es sei, so sagte er, ein seltenes Foto des Verstorbenen mit den Kämpfern.
»Warum hast du sie umgebracht, Mûsa?«
Milia kannte keine Eifersucht. »Eifersucht habe ich nie empfunden. Nicht einmal bei Nadschîb haben sich solche Gefühle in mein Herz gefressen.«
»Du hast ja völlig Recht, eifersüchtig zu sein. Morgen kommt der Fotograf. Er wird dich fotografieren, und dann hänge ich ein Foto von dir hier auf.«
»Ich will nicht fotografiert werden.«
»Ich möchte so ein Foto von dir haben wie das in deinem Elternhaus.«
»Warum hast du sie umgebracht, Mûsa?«
Die kleine Milia steht allein da. Um sie herum lauter Spiegel. Sie betrachtet sich bei hereinbrechender Abenddämmerung. In dem großen Spiegel, der im dâr angebracht ist, spiegelt sich die Gasse. Plötzlich tritt Mûsa aus dem Spiegel in den Raum, in der Hand das Bild einer Frau in Schwarz-Weiß vor weißem, leicht vergilbtem Hintergrund. Kaum sieht die kleine Milia den Bruder, rennt sie davon und versteckt sich unter dem Sofa, damit er sie sucht, wie er es immer tut. Der dunkelhäutige Mann in weißem Hemd aber beachtet sie nicht. Er kramt aus einer kleinen Kiste einen Hammer und ein paar Nägel hervor und beginnt das Bild an den Spiegel zu nageln, durch den er hereingekommen ist. Milia hält sich die Ohren zu, will nicht hören, wie der Spiegel
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